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Racheengel, Krisenkinder

HipHop-Crossover jetzt auch aus Mexiko: Molotov und Control Machete erschrecken als Gringohasser, Motherfuckers und Schlüpferstürmer das Establishment. Kirche wie Kader sind pflichtschuldig schockiert. Doch die Revolution findet bloß auf MTV statt  ■   Von Anne Huffschmid

Dank Molotov, so die mexikanische Schriftstellerin Carmen Bolluosa, „glaube ich an die Jugend“. Ein gewagtes Bekenntnis der Mittvierzigerin, dem sich die moral majorities Mexikos nicht unbedingt anschließen dürften. Denn Molotov, eine der neuen mexikanischen Boy Groups der etwas anderen Art, singen nicht nur gegen katholische Bigotterie oder das korrupte Establishment im Lande an, sondern machen gleich jeder Form moralischer Correctness den Garaus. „Wir wissen alle, daß deine Pussy so groß ist wie ein Whirlpool“, heißt es in einer atemlosen Rap-Tirade auf die „läufige Straßenhündin“, die es „jetzt auch von hinten gerne hat“. Oder auch „Chinga tu madre“, fuck your mother, eine Haßerklärung ans Allerheiligste im Katholikenland, die Mutter. Die mexikanische Jugend aber ist, sehr zum Leidwesen von Eltern und Erziehern, entzückt.

Mit einem arg verspäteten Punk-Revival à la mexicana oder gar nachholender Protestmusikentwicklung hat das nicht viel zu tun. No future ist im von der Dauerkrise geschüttelten Mexiko ohnehin seit jeher Lebensgefühl, nicht nur der Jugend. Und für Protestler hauen die Jungens im Edellumpen-Look viel zu wahl- und ziellos um sich, auf die Starken und auf die Schwachen, Machthaber und TV-Bonzen, aber eben auch Straßenmädchen und kleine dicke Jungs. Molotov betreten die Bühne zu einer Zeit, in der im Lande auch die letzten Konventionen und moralischen Essentials am Zerbröseln sind. Zum ersten Mal ist in Mexiko, wo unter einer scheinbar allmächtigen und allgegenwärtigen Staatspartei jahrzehntelang alles, selbst die Ausbrüche, geregelt waren, wieder einiges offen. Und keiner weiß, ob diese neue Offenheit im Horror von Kriminalität und Korruption oder der langersehnten Demokratisierung endet.

Am anderen Ende der Mexiko-Klischees

An eben dieser Bruchstelle bewegen sich Molotov: trotzige Aufbruchstimmung paart sich mit Verwahrlosung, „alles egal“ mit „jetzt erst recht“, Brutalität mit Lebenslust. Selbst in Übersee, wo sie letzten Oktober mit großem Erfolg in einem knappen Dutzend europäischer Städte auftraten, treffen sie damit offenbar einen Nerv. Vermutlich auch deshalb, weil die vier so etwas wie das leibhaftige Gegenstück zu allen bekannten Mexiko-Klischees verkörpern: kein bißchen sentimentaler Mariachi-Einschlag, keinerlei kerniger Charro-Charme und erst recht nichts Indianisches. Nicht mal dem Bild des smarten Latinos entsprechen die unrasierten Grimassenschneider mit Babyspeck und Koteletten, Sonnenbrillen und wahlweise Unterhemden, Fußballtrikots oder bunten Schlabberhemden über den Bäuchen.

Musikalisch handelt es sich um eine funkige, derbe Mischung aus Rap und Rock, leicht pubertär, aber lustvoll, die von der Musikkritik meist als mexikanischer HipHop bezeichnet wird. Als ein „Produkt des Kulturschocks zwischen Bluejeans, Plastiksandalen und E-Gitarre“ beschreibt der Musikproduzent Gustavo Santaolalla die Musik, die sich im Süden nun „mit den jeweiligen Kulturen, wie eben der Maistortilla, vermischt“. Und jetzt wieder zurückrollt: Ein begeistertes Publikum finden Bands wie Molotov vor allem in der Latino-Gemeinde in den USA, wo fast 27 Millionen Menschen lateinamerikanischer Herkunft leben. Markenzeichen dieses musikalischen Kulturschocks ist das Spanglisch, ein Sprachmix aus Spanisch und Englisch. Ein ausgefeiltes Multikulti-Konzept stekke bei Molotov allerdings nicht dahinter, behauptet Micky alias „el Huidos“, der spanglische Einschlag sei eher gesangstechnisch begründet. „Das Spanische hat für das Rappen einfach zu viele Akzente.“

Porno-Petting auf dem Rücksitz

Angefangen hat alles vor ein paar Jahren, als die wüsten Jungs bei einem mexikanischen Rockfestival überraschend Furore machten. Kurz darauf kam die erste CD auf den Markt, „Dónde jugarán las niñas“ , wo spielen die Mädels? Schon der Titel ist eine ironische Abwandlung des Erfolgsalbums der mexikanischen Softpop-Gruppe Maná („Donde jugaran los niños – Wo werden die Kinder spielen?“), auf dem Cover räkelt sich ein Schulmädchen auf einem Autorücksitz mit heruntergelassenem Schlüpfer. Für ein Land, wo auch heute noch gelegentlich „anstößige“ Bilder aus renommierten Galerien abgehängt oder vulgäre Vokabeln auf dem Bildschirm mit einem Biep unterlegt werden, die reinste Provokation. Es kam, wie es kommen mußte: Die CD wurde vorübergehend aus dem Verkehr gezogen, es folgen Konzertverbote und Protestbriefe von frommen Kirchenleuten. Kommerzielle Radiosender und große TV-Stationen weigern sich, die Songs zu spielen oder Videos zu zeigen, diverse DJs verlieren – dem Vernehmen nach auf Anweisung von ganz oben – ihren Job.

Doch die altbewährte Zensurmaschine, im zunehmend globalisierten Mexko ohnehin schon brüchig geworden, konnte dem Siegeszug der jungen mexikanischen Wilden längst nichts mehr anhaben. Zwar laufen viele der Stücke bis heute in Mexiko nicht über den Äther, dafür aber, wie Schlagzeuger Randy Ebright gegenüber den Berliner Latinamerika-Nachrichten bemerkte, längst „in den Supermärkten“. Aber auch auf anderer Seite kommt es zu erbosten Reaktionen. So erstattete während der Europa-Tour eine baskische Gay-Gruppe aufgrund des Stükkes „Puto“ (Schwuler) Anzeige wegen vermeintlicher Homosexuellenhetze. Gemeint seien, so erläuterteten die Molotovler auf einer Pressekonferenz, jedoch keinesfalls die Schwulen, sondern Feiglinge und Konformisten, die zu allem ja und amen sagen. Molotov sagt zu allem eben lieber erst mal nein und „fuck you“ und trifft damit, inklusive des machistischen und homophoben Mainstreams, heute tatsächlich so etwas wie mexikanisches Lebensgefühl.

Conquista, Tequila, Corona, Caramba

Auch Control Machete, ein Trio aus der nördlichen Industriemetropole Monterrey, treten als zornige junge Männer auf. „Somos humanos y nos llaman mexicanos“, wir sind Menschen, und man nennt uns Mexikaner, heißt es in einem schnellen Rap-Stück mit eindeutigem Adressaten: el „pinche guero“, der Scheißblonde und ewige Übergringo aus dem Norden.

Ihr Publikum im Jung-Yuppie-Schuppen des Hardrock-Cafés, am Rande des Nobelviertels Polanco in Mexiko-Stadt, lauter hippe junge Menschen im angedeuteten Techno-Look, hat zwar nicht viel gemein mit den besungenen Underdogs, den illegalen Wanderarbeitern in den USA oder den abgerissenen Straßenkids, die sich im Moloch an den Ampeln als lebende Scheibenwischer verdingen. Das Versagersyndrom, die verbreitete Lust am Frust, am Rausch und am Kater danach aber geht quer durch alle Schichten.

Tiefgebräunt vom Fernsehschirm

„La raza“, wie sich junge Mexikaner zuweilen ironisch selbst zu nennen pflegen, springt an, binnen weniger Minuten hüpft der ganze Saal auf und ab. Vorne wanken im neonfarbenen Rauchwolke die drei Machete-Männer wie betrunkene Amphibien über die Bühne, torkeln, brüllen und recken die Fäuste, heizen ein, ein paar Mädchen am Bühnenrand wird Corona-Bier über das Haupt geschüttet.

Dann und wann klingen im schnellen, harten Maschinensound ein paar Akkorde Salsa an, in den stampfenden Sprachbrei sind alle Zutaten zur mexicanidad, dem Zerrbild der mexikanischen Identität, gemixt: Conquista und Tequila, Revolution und Pancho Villa und jede Menge „sangre azteca“, Aztekenblut.

Nicht nur Kirche, Sendeanstalten und Regierung reagieren verstört auf den unerhörten Mix, auch das kulturelle Establishment erörtert allen Ernstes die subkulturellen Potentiale. Schwulen- und frauenfeindlich, phantasielos, zynisch und nihilistisch lauten die verbreitetesten Vorwürfe der Gegenfraktion.

So etwa in der Zeitschrift Equis, in der sich ein Kulturkritiker über die „pseudorevolutionäre“ Pose der dumpfen Molotov-Kids ereifert, die er „noch nie auf der Straße gesehen, dafür um so öfter auf den Titelseiten der Teenie-Gazetten gesehen“ habe. Hingegen äußert sich José Agustin, einer der in die Jahre gekommenen mexikanischen Beat-Literaten, ganz begeistert über die „Kulturrevolution“, bei der zum „allerersten Mal Protestmusik in großem Stil verbreitet“ werde. Auch Nachrichtenagenturen wie Reuters haben flugs das „Protest-Rapper“-Etikett parat und konstatieren gar eine „musikalische Offensive gegen das altersschwache System der Einheitspartei“.

Beides geht am Kern vorbei. Der aufrührerische Gestus von Molotov und Control Machete speist sich nicht aus Traditionen kämpferischer Gegenkulturen, sondern aus der hämischen, aggressiven Selbstironie der Zuspätgeborenen. Es sind die Krisenkinder, „die im Haushaltsbudget gar nicht vorgesehen waren, die Enkel der Antibabypille, Freunde der Simpson-Familie“, wie Carmen Boullosa die Jungmusiker beschreibt. Urbane Zombies, „aufgewachsen unter der Smogwolke und mit Taco-Diät“, die sich „vor dem Fernsehschirm bräunen“ und allen offiziellen Trotzdemoptimismus ad absurdum führen. Oder so etwas wie die Racheengel der Mittelschichtkids, die sich im Krisenstrudel der Neunziger um die allerletzten Illusionen vom besseren, also US-amerikanischeren Leben betrogen fühlen.

Auch in den Stücken, die explizit ums Politische kreisen: die populäre Antihymne „gimme tha power – dame el poder“ (etwa: her mit der Macht), die im Gegensatz zum sonstigen Fetzensound melodiös und balladenhaft daherkommt, zielt auf die ebenso zähneknirschende wie ohnmächtige Verachtung der Mächtigen im Lande. Die Message ist zwar unmißverständlich („Man muß das Problem mit der Wurzel ausreißeen und die Regierung stürzen“), aber letztlich nicht ernst gemeint. Es ist keine Kampfansage, sondern spielt mit der umstürzlerischen Attitüde, die tief verwurzelt ist im Mythenfundus des Landes mit der ersten sozialen Revolution dieses Jahrhunderts. So klingen Einsprengsel wie „Viva México“ oder die alterehrwürdige Demo-Parole „El pueblo jamas sera vencido“ (das vereinigte Volk wird niemals besiegt) nur noch wie ironische Zitate aus dem nationalstolzen Agitrepertoire.

Die hilflosen Zensurversuche durch die Hüter des „guten Geschmacks“ verleihen zweifellos subversiven Glamour. Die ungleich mächtigere Kommerzmaschine aber stört das wenig, ungerührt verleibt sie sich den mexikanischen HipHop ein und macht ihn zu einem vergleichsweise pflegeleichten Pop-Phänomen: Vor zwei Jahren galten Molotov in der Landespresse als Entdeckung des Jahres und wurden 1998 gleich zweimal von MTV prämiiert. Von der ersten CD wurden insgesamt mehr als eine Million verkauft, die erste Scheibe von Control Machete („Mucho barato“) wurde von immerhin fast halb so vielen Menschen erworben, beide Bands haben inzwischen ein zweites Album vorgelegt. „Wir sind kein Kommerzprodukt“, sagt Micky von Molotov der Equis-Reporterin, „sondern eben einfach kommerzialisierbar.“ Auch die Kollegen von Control Machete bedanken sich auf ihrem ersten Cover ganz artig bei den jeweiligen Mamas und bei der Schutzheiligen der Mexikaner, der Jungfrau von Guadalupe. Was plötzlich gar nicht mehr ironisch klingt.

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