: Tampontänze gegen die falsche Schönheit
Denn Dänen lügen nicht: Filmbilder bis zur „Oscar“-Reife beim Kurzfilmfestival ■ Von Birgit Glombitza
Die Dänen, das sind die Geschöpfe mit den rot-weißkarierten Kühen auf der Frischkäsepackung und einem depressiven Hamlet neben einer masochistischen Meerjungfrau im Regal nationaler Mythen: Das sind die sommersprossigen Wesen, die gleich das ganze „O“ durchstreichen, nur weil ihnen die Ö-Pünktchen ausgegangen sind, und die so komische Sachen wie „elske dai“ (oder so ähnlich) sagen. Und es gibt Menschen, die behaupten sogar, diese Erdlinge hätten den Hot Dog erfunden.
Dänemark ist nicht nur das Land der Kleinbauern, wie es das uncharmante dtv-Lexikon daherschnöselt, es ist auch der Flecken europä-ischer Erde mit der derzeit aufregendsten Filmszene. Und das nicht erst so, seit die Regisseure Thomas Vinterberg, Sören Kragh-Jacobsen, Kristian Levring und Lars von Trier die Köpfe zusammensteckten, um ihr filmisches Keuschheitsgelübde, das Dogma 95, zu unterzeichnen, in dem sie geloben, auf alle Annehmlichkeit moderner Filmtechnik (keine Dramaturgie, kein Extra-Licht, keine Requisite, keine untermalende Musik, keine Zeitsprünge) zu verzichten. Es ist eines der heitersten Manifeste überhaupt, mit jenem Purismus, der nach Überspannung und saurem Fleiß riecht, hat es nichts zu tun.
Lars von Trier bekannte sich schon Jahre vor den Dogma-Feierlichkeiten zu einer Art Theorie der kalkulierten Fehler. Wie schön und bizarr so ein Credo im Filmbild ausfallen kann, läßt sich jetzt beim Hamburger Kurzfilmfest in der umfangreichen Reihe „Dänen lügen nicht“ beobachten. Vor allem bei dem Kurzfilm Nocturne (1980), den von Trier während seines Studiums an der Kopenhagener Filmhochschule drehte. Nachtgedanken: Eine Frau hat Augenschmerzen. Sie verträgt die Helligkeit des Tages nicht, kann aber auch nicht schlafen. Mehr Plot braucht es nicht. Die Visionen der Angst, die Magie der Bilder und das Innenleben der Dinge habe ihre eigene Dynamik. Beseeltes scheint leblos, Seelenloses belebt. Da macht die Kamera keine Ausnahme. Ständig ist sie in Bewegung, ob Kranfahrt oder leicht zitternde Tableaus. Dazu surrt unheilvoll die Stille.
Von Triers Film sollte eine Exkursion zum Thema „eye scanning“ abgeben, er wollte die Wahrnehmung so steuern, daß sich weit hinter der vordergründigen Geschichte das Reich einer zweiten Perzeption auftut. Seine Bilder wuchern dabei gegen jede organisierte Schönheit. Und ihre aufgerauhte Oberfläche nimmt im Schlußbild, in dem die Augenkranke von Vögeln umflattert steht, eine zahnsteinbeige Färbung an.
Da haben wir es wieder: Something is rotten. Von Triers Kino gegen die falsche Schönheit klappt sich auch in seinem Kurzfilm-Triptychon Bilder der Befreiung auf, in dem eine Dänin an einem SS-Nazi Rache nimmt. Ein Film, der vieles aus Breaking the Waves vorwegnimmt. In den insgesamt sechs Programmen der dänischen Abteilung finden sich nicht nur weitere von-Trier-Frühwerke, Musik-und Werbeclips, sondern auch die Anfänge seiner Mit-Dogmatiker – wie Thomas Vinterbergs Sidste omgang und Drengen der gik baglaens.
Seit drei Jahren räumen die dänischen Filme, die hier im Programm 1 laufen, bei den Oscar-Nominierungen ab. Eine Auszeichnung, die sich jedoch noch nie um kluge ästhetische Experimente geschert hat, sondern sich über das Possierliche und Vordergründige freut. Entsprechend enttäuscht ist man von den Gekürten, von Wolfgang und von Wahlnacht von Anders Thomas Jensen: die üble Entwick-lungsgeschichte eines Anti-Rassisten, den der fremdenfeindliche Alltag aufs Zweifelhafteste umerzieht. Experimentelles, aus dem Danish Film Institute, gibt es im Programm 2, wunderbare feministische Grotesken inklusive eindrucksvoller Tampontänze – wie in I–m a Grrrl von Bynke Maiboll – laufen im Programm 5.
Sehen oder nicht sehen, wie der Däne sagt, das ist hier keine Frage.
Sa: Dänemark 3, Lars von Trier, 15 Uhr im 3001; Dänemark 6, Danish Documents, 17.30 Uhr im Metropolis. So: Dänemark 1, Danish Fiction, 15 Uhr im Festivalzentrum Schlachthof; Dänemark 4, Other Dogma Signatories, 17.30 Uhr im Studio
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