Die Welt für sich neu erfinden

■ Die lesbische Pfarrerstochter Riccarda Köhler spielt als Baßgitarristin in einer Frauenband und hat mit vier Freundinnen den Club Female Underground gegründet

Eigentlich wollte sie das Klischee nie erfüllen: superkurze Haare, Tarnhose, Kapuzenpullover. „Aber es ist das, was zu mir paßt“, sagt Riccarda Köhler, die sich mit Ricci vorstellt. Und wären da nicht ihre klaren blauen Augen, in denen sich alles andere als Aggressivität und Härte widerspiegeln, könnte man tatsächlich den Eindruck gewinnen, daß sie alle Bilder einer Szene-Lesbe bestätigen will; mit Bewegungen, bei denen mancher Macho sich noch etwas abgucken könnte, und der Kluft, die auch für eine Marlboro-Abenteuertour geeignet wäre.

Ricci ist burschikos, eine Butch. „Ich wollte nie in das Weibchenschema reinpassen“, sagt sie und lächelt schelmisch, so wie ein netter Bengel. Butch, der Begriff aus dem Amerikanischen hat sich in der Szene durchgesetzt. „Butch zu sein ist fast wie ein eigenes Geschlecht“, sagt Ricci.

Erst seit einem Monat ist die 19jährige aus dem Elternhaus in Hohenschönhausen in die Wohnung des älteren Bruders in Prenzlauer Berg gezogen. Sie lernt fürs Abitur am Gymnasium Weißensee. Ehrgeizig. In der ehemaligen SED-Hochburg Hohenschönhausen wollte sie nicht zur Schule gehen. Die Schulen dort seien schlecht, und „vor allem treiben sich da zu viele Glatzen herum“, sagt die Pfarrerstochter, die am Rande der DDR-Renommierplattenbauten in einem „schönen Pfarrhaus mit Garten“ aufwuchs. Ziemlich privilegiert und tolerant, wie sie sagt, und erzählt von ihrer Mutter, einer Nervenärztin, und deren Engagement in der internationalen Antiatombewegung zu DDR-Zeiten.

„Die meisten Leute in meiner Generation sind kaum noch politisch engagiert“, bedauert sie, und ohne lange Umwege beginnt sie mit einer politischen Analyse des Kosovokriegs und der Verletzung der internationalen Spielregeln durch die Nato. „Da ist was weggebrochen, ohne UNO-Mandat anzugreifen“, findet ihr Intellekt. Und ihr Gefühl? „Ja, das Leid der Kosovo-Flüchtlinge ist schrecklich“, sagt sie. „Ich bin eine Gerechtigkeitsfanatikerin, und Krieg ist immer ungerecht.“ Ihre Konsequenz daraus ist, nach dem Abitur in einem Flüchtlingslager zu arbeiten. „Einfach nur helfen. Ich hoffe, ich bin dem gewachsen“, sagt sie ernsthaft. Und für einen kurzen Moment hat man Sorge, ob sie für so eine Aufgabe nicht tatsächlich zu sensibel ist. Aber das ist nur ein kurzer Moment, und dann läuft Ricci wieder mit Männerschritten und „Lesbenklischeeschnitt“, wie sie ihre Frisur nennt, in der bunt gestrichenen Altbauküche ihres Bruders herum, und redet von Berlin und der Szene. Ihrer Szene, den Frauen und dem nächtlichen Herumhängen in den Bars, den Frauen, die sich gelangweilt am Bier festhalten und rumnörgeln, weil nichts los ist. Und dann sei da noch eine ziemliche Aggressivität. Sie wisse nicht, woher die eigentlich komme und wogegen die sich richte. Nur daß die eben da sei, auch bei ihr. Doch dann verändert sich ihr Blick, und sie wirkt entschieden und ein bißchen zu alt für 19 Jahre: „Ich kann verstehen, wenn ältere Lesben verhärmt sind. Da schlägt sich ein hartes Leben im Gesicht nieder.“ Ricci führt das auch darauf zurück, daß die Frauen oft keinen Rückhalt jenseits der Szene hätten, keine Familie, in die sie, wenn sie älter werden, flüchten können. Der Alkohol täte ein übriges.

Ricci setzt einen Teil ihrer Aggressivität in Energie um, „da ist ganz schön viel“. Sie spielt als Baßgitarristin in einer Frauenband und gründete einen eigenen Club: „Female Underground“. Mit vier Freundinnen veranstaltet Ricci jeden letzten Samstag im Monat im Hinterhof der Ackerstraße 13 einen Clubabend, wo wechselnde Djanes auflegen. „Da kommen auch ältere Frauen um die 35 hin.“ Die jungen Organisatorinnen wollten der Szene einen Kick geben und nicht einfach nur immer konsumieren. „Mit Lesben, die immer nur die Hitparaden rauf und runter hören, kann ich nichts anfangen“, sagt sie.

Nach dem freiwilligen Einsatz in einem Flüchtlingslager will sie Geschichte studieren, am liebsten Altertumsforschung. „Da kann man sich ausmalen, wie früher alles war, wie anders.“ Und manchmal kann man für sich selbst die Welt auch neu erfinden, zumindest im Kopf. Annette Rollmann