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„Die Hausaufgaben bitte auf den Server“

■ In einem Barmbeker Gymnasium lernen Schüler in allen Fächern auf selbstgebauten Computern

22 Metallkoffer öffnen sich, Kabel werden aus den Koffern gezogen und in Monitore gestöpselt. In den nächsten acht Stunden ist im Klassenraum der 9A des Emil-Krause-Gymnasiums vor allem das Klicken von 22 Computertastaturen zu hören. In dem Barmbeker Aufbaugymnasium wird seit rund einem halben Jahr mit Computern gepaukt – in allen Fächern. Ihre Rechner haben sich die Schüler selbst zusammengebaut; CD-Rom-Laufwerk, Festplatte und andere Bauteile stecken in einem gewöhnlichen Aluminiumkoffer. Und noch etwas ist hier anders als in gewöhnlichen Klassenzimmern: Für keinen der Schüler ist Deutsch die Muttersprache.

Anstelle einer Tafel steht an der Stirnseite des Klassenzimmers ein übergroßer Fernseher. Alle Schüler sitzen auf Drehstühlen, mit dem Gesicht zur Wand. Die Stühle hat die Schule extra neu angeschafft, damit sich die Jugendlichen schnell zum Lehrer umdrehen können. Statt „zeigt mal eure Hefte“ heißt es in der 9A: „Bitte öffnet die Datei und legt eure Hausaufgaben im Ordner auf den Server“ – nicht nur in Informatik, sondern auch in Fächern wie Französisch oder Chemie. Die Hausaufgaben werden später für alle sichtbar am Fernseher korrigiert. Jeder Schüler kann sich die richtige Version auf seinen Computer „'runterziehen“ und hat dann zum Vergleich auf seinem Monitor die korrigierte Fassung neben der eigenen.

Die Idee eines transportablen Computers für seine Klasse hatte Lehrer Röhr vor zwei Jahren: „Wenn der Computer in der Abeitswelt zur Regel wird, müssen Jugendliche in der Schule darauf vorbereitet werden“, meint der Pädagoge. Modellprojekte seien zwar vielerorts an deutschen Schulen bereits eingeführt, ergänzt Schulleiter Reinhard Sell. So haben in Gütersloh beispielsweise im Mai rund 60 Siebtklässler unter dem Motto „Laptop statt Schulranzen“ einen tragbaren Computer für ihren Unterricht erhalten. Dieses Projekt wird unter anderem von einem großen Laptop-Hersteller und einem Softwarekonzern getragen.

„Daß allerdings die Schüler ihre Geräte selbst herstellen, ist neu“, betont Sell. Zudem baute die 9A des Emil-Krause-Gymnasiums ihre Rechner ganz ohne die technische Hilfe von Softwarespezialisten. 800 Mark kostet der bereits europaweit patentierte Bausatz, erklärt Röhr. Die Einzelteile wurden hauptsächlich von der Schulbehörde und Sponsoren bezahlt.

Den Vorteil des Selbstbaus sieht der Pädagoge darin, daß er seine Schüler zu „mündigen Usern“ ausbilden könne: „Sie sind dann keine abhängigen Operatoren“. Zusätzlich zum normalen Unterrichtspensum wurde für die 9A das Fach „Usage“ eingeführt. Zwei Stunden pro Woche werden neue Softwareprogramme vorgestellt, mit denen sich die Schüler mittels Projektarbeit vertraut machen können.

Mit dem Computerprojekt versuchen die Pädagogen auch, alte Rollenklischees aufzubrechen. Denn nach einer Prognose von Dieter Baacke, Medienpädagik-Professor an der Universität Bielefeld, wird der Unterschied zwischen Jungen und Mädchen im Computerumgang erst 2020 belanglos werden. Solange will man am Emil-Krause-Gymnasium nicht warten: In der 9A beherrschen die Schülerinnen die Technik ebenso kompetent wie ihre männlichen Mitschüler, bestätigt die Schulleitung. Melina Schmidt

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