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Die braune Mattscheibe

In einer zweiteiligen Dokumentation bisher unbekannter Film-Fundstücke erschließt „Spiegel-TV“ das Kapitel „Fernsehen unterm Hakenkreuz“ (Teil 1: heute um 23 Uhr; Teil 2: 28. 6. um 23 Uhr, Sat.1)  ■   Von Anke Westphal

Das Fernsehen ist keine Nachkriegserfindung der Amerikaner. Schon 1935 ging das „Dritte Reich“ versuchsweise auf Sendung, allerdings nicht für den Hausgebrauch: Rund 160.000 Zuschauer verfolgten 1936 die Olympischen Spiele in den öffentlichen Fernsehstuben von Berlin, Hamburg oder Nürnberg. Eine zweiteilige Dokumentation von Michael Kloft spürt nun dem „Fernsehen unterm Hakenkreuz“ nach: Wie sah das Programm aus? Was war seine Aufgabe?

Geschichte aufgearbeitet wurde in den vergangenen drei Jahren fleißig: „Hitlers SS“, „Hitlers Generäle“ ... Die Zahl der Dokumentarprogramme zum Thema ist merklich gestiegen. Doch wird darin tatsächlich aufgearbeitet oder nur eine blühende Schaulust befriedigt? Soll man dem Recht der Zuschauer auf jede Information über den Nationalsozialismus weiter entsprechen? Blasphemische Fragen, ohne Zweifel. Nicht der Gegenstand, die Machart einer Dokumentation ist schließlich für den Unterschied zwischen Aufarbeitung von Geschichte und Herzeigen verantwortlich.

„Fernsehen unterm Hakenkreuz“ nimmt diesen Unterschied ernst. 285 Rollen Filmmaterial, das in Spezialbunkern des Staatlichen Filmarchivs der DDR lagerte, haben Autor Kloft (und Hans-Gunter Voigt vom Bundesarchiv) auf heute übliche Formate umkopieren lassen und gesichtet. Mit ihrer Auswahl wollen sie sich zwischen „Faszination und Irritation“ bewegen. Auf Zuschauerseite dürfte dabei die Faszination überwiegen, in technischer wie in ideologischer Hinsicht. Man ist nicht so sehr überrascht, bereits von Anfang an fast alle auch heute noch gängigen (und damals vom Hörfunk übernommenen) Fernsehformate vorzufinden, sondern daß das Fernsehen in 60 Jahren zwar technische, aber relativ wenig Genre-Innovationen entwickelte.

Autor Kloft zeigt Ausschnitte aus der braunen Koch-Show des Reichsfrauenverbandes, dem Ratgeberprogramm, eine Reportage zum Reichsparteitag und eine Unterhaltungssendung mit lassoschwingender Tänzerin. Sportprogramm, Nazi-Kabarett und sogar eine Art kleines Fernsehspiel gab es, auch „Morgengymnastik“ zum Mitturnen. Die Ansagerin war platinblond und begrüßte die Zuschauer mit einem gebellten „Liebe Volksgenossen“. Abmoderiert wurde mit „Heil Hitler!“

Doch welchen Stellenwert und welche Funktion hatten das Fernsehen im Dritten Reich überhaupt? Für einen Apfel und ein Ei kaufte man damals die „Goebbelsschnauze“, den Radio-Volksempfänger, und in den Kinos sorgten die Wochenschauen für Bild-Ton-Propaganda. Aber das Fernsehen war ein technologisches Renommierprojekt der Nazis. Man wollte der Welt voraus sein und die Ergebnisse der Fernsehtechnologie kriegstechnisch nutzen.

Was Michael Kloft ausgegraben hat, wirkt heute technisch unbedarft oder unfreiwillig komisch. Die Archivbilder wackeln und riechen piefig. Das liegt zum einen daran, daß man anfangs noch keine Erfahrung mit dem neuen Medium und seinen speziellen Erfordernissen hatte, aber auch daran, daß die Aufnahme- und Übertragungstechnik noch in den Kinderschuhen steckte. Aufzeichnungen und schnelle Schnitte waren nicht möglich, das macht etwa Reportagen extrem statisch, zufällig in der Bildwahl und unscharf. Verlegen grinsen Sportler der Olympischen Spiele von 1936 in eine der monströsen Kameras.

Zum anderen ist die – bittere – Komik dieser zweiteiligen Dokumentation der durchgängigen Ideologisierung aller Formate des neuen Mediums durch die Nazis geschuldet. Propaganda prägte selbst die Einkochtips für Obst, schließlich galt die Ermunterung zur Selbstversorgung als kriegswichtig. Doch es ist kein befreiendes Lachen, das sich bei Ansicht dieser Bilder aufdrängt. Das unfreiwillig Komische scheint den Faschismus seltsam zu verkleinern: die Kamingesänge an der „Reichs-Bräuteschule“ oder „KdF“-Führer Ley und Schauspieler Heinrich George, die sich im faschistischen Phrasengestrüpp verheddern.

Der Zuschauer heute fragt sich, wie ein ganzes Volk auf solchen Schwachsinn hereinfallen konnte. Aber ob das eine hilfreiche Frage ist – wohl nicht. Die ideologische Inszenierung der braunen Mattscheibe scheitert nicht nur am Wissen heutiger Fernsehzuschauer, sondern auch – noch unter Hitler – am technischen Dilettantismus. Das so herauszuarbeiten, wie Michael Kloft es tut, und nicht nur „rund ums Fernsehen zu erzählen“ verdient den Namen „Aufarbeitung“ tatsächlich. Und nur nebenbei: Sowenig man es wahrhaben will – dieses Fernsehen erinnert mit seiner Mischung aus Hausfrauenprogramm, alles bestimmender Propaganda, Unterhaltung und anspruchsvolleren Formaten an das der DDR.

Propaganda wurde über die Fernsehbilder als Abbildung des Alltags ausgegeben. Die Schatten des Krieges, den Holocaust kann man darüber nicht vergessen: Eine Woche vor Kriegsausbruch läuft Wehrmachts- und Kasernenwerbung, und 1943 berichtet die Reportage „Frohsinn und Wille“ aus dem lustigen Leben beinamputierter Soldaten. Das ist nicht mehr zum Lachen. Das hoheitsvoll Anmaßende der Nazi-Ideologie kennt man aus den Wochenschauen – im Nazi-TV paart es sich mit Zynismus. „Konzertlager“ zur „Weiterbildung“ nennt der braune Moderator KZs.

Daß die Ästhetik dieses braunen Fernsehens in den Wirtschaftswunderjahren bruchlos übernommen wurde, ist medienhistorisch nicht nur interessant, sondern sagt einiges über politische Traditionen. Dann einen schönen guten Abend, liebe Zuschauer!

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