: Keine Ehre für die Staatschefs der G 7
Ein Schuldenerlaß, der den ärmsten Ländern der Welt die Hälfte ihrer Verbindlichkeiten abnehmen soll, und neue Hilfen als „Signal“ für Rußland sind die wesentlichen Ergebnisse des Kölner Weltwirtschaftsgipfels ■ Aus der Domstadt Nicola Liebert
Was ist eigentlich ein Gipfel? Ein Gipfel, das ist, wenn Autos und Straßenbahnen eine halbe Stunde vor einer Kreuzung festgehalten werden, weil dort irgendwann Bill Clinton in einem Autokonvoi vorbei kommt. Ein Gipfel ist, wenn Tausende Kölner acht Staats- und Regierungschefs, deren Silhouetten sie einen Moment lang weit hinter den Absperrungsgittern ausmachen können, auf Stühlen und Tischen der nahegelegenen Kneipen stehend zujubeln. Ein Gipfel ist, wenn mindestens 30.000 Demonstranten eine Menschenkette bilden, wenn U 2-Sänger Bono und der zum Dritte-Welt-Aktivisten mutierte Musiker Bob Geldof zum Schuldenerlaß aufspielen und wenn die Polizisten auf dem Dach des Maritimhotels hinter ihren Maschinengewehren den Damen zuwinken, denen sie durch ihre Fernrohre in den Ausschnitt blicken können. Ein Gipfel ist, wenn Bundeskanzler Schröder den 5.400 Journalisten, die geduldig in einem Pressezelt, abgeschnitten von den Politikern, ausgeharrt haben, erzählt, daß das Treffen der mächtigsten Politiker der Welt wieder „ein ungewöhnlicher“ Erfolg war.
Als erfolgreich bezeichnete – etwas schmallippig – auch der russische Ministerpräsident Sergej Stepaschin dasTreffen. Immerhin bedeute die Teilnahme Rußlands „politisches Prestige“. Vermutungen, daß die sieben westlichen Staats- und Regierungschefs Rußland in Sachen Schulden entgegengekommen seien – im Gegenzug für das russische Einlenken in Sachen Kosovo – wiesen die Regierungssprecher zurück. Aber ein „Signal“ habe man schon geben wollen, meinte Schröders Wirtschaftsberater Klaus Gretschmann. In ihrem Abschlußkommuniqué versprechen die westlichen Staaten zwar keinen Schuldenerlaß, aber eine schnelle Umschuldung – unter der Voraussetzung, daß Rußland das Abkommen mit dem IWF endlich umsetzt, in dem vor allem eine Steuerreform gefordert wird. Außerdem soll die Unterstützung für kleinere Unternehmen und für den Gesundheitssektor sowie die Hilfe auf regionaler Ebene verstärkt werden.
Das ursprünglich erwartete Papier über eine „Partnerschaft für den Wohlstand“ der G-7-Staaten mit Rußland wurde auf Wunsch Stepaschins nicht verabschiedet. Daß Präsident Boris Jelzin selbst nur am Sonntag erschien, hatte ein gewisses Befremden ausgelöst. Der russische Publizist Boris Kagarlitzky erklärte, Jelzin sei sich darüber im klaren, daß „die ökonomische Macht Rußlands längst nicht ausreicht, um den wirtschaftlichen Entscheidungsprozeß auf dem Gipfel zu beeinflussen“.
Ein weitergehendes Entgegenkommen konnten die ärmsten der Entwicklungsländer verzeichnen. Neben einer „Kölner Charta“, die einen bildungspolitischen Appell an Industrie- wie Entwicklungsländer beinhaltet, war die Verabschiedung der Kölner Schuldeninitiative der einzig konkrete Erfolg des Wirtschaftsgipfels. Den 41 in Frage kommenden Ländern kann künftig bis gut die Hälfte ihres gesamten Schuldenbergs erlassen werden: 70 Milliarden von insgesamt 130 Milliarden US-Dollar. Handelsschulden können künftig zu 90 Prozent erlassen werden (ein kleiner Fortschritt, denn schon bisher waren 80 Prozent möglich), Schulden aus Entwicklungshilfe sollen möglichst ganz gestrichen werden. Kanzler Schröder begründete die Initiative ganz eigennützig: „Nur wenn man ihnen hilft, werden diese Länder fähig, mit uns Handel zu treiben.“
Der eigentliche Fortschritt besteht darin, daß sich mehr Länder für den Erlaß qualifizieren können als früher: Nun kann ein Land schon berücksichtigt werden, wenn dessen Auslandsschulden das Anderthalbfache der jährlichen Exporteinnahmen beträgt, früher mußte es schon mehr als 200 bis 250 Prozent sein. Über die Gegenfinanzierung des Schuldenerlasses wurde nur in bezug auf die multilateralen Geber (IWF, Weltbank sowie die regionalen Entwicklungsbanken) gesprochen: Zehn Prozent der Goldreserven des IWF sollen verkauft und die Einnahmen zinsbringend angelegt werden. Die Erträge von schätzungsweise 260 Millionen Dollar jährlich stehen dann für die Entschuldung zur Verfügung.
Allerdings stößt die Schuldeninitiative nicht auf die volle Begeisterung der nichtstaatlichen Organisationen, die so lange für einen Schuldenerlaß gekämpft haben. Zum einen wird das eiserne Festhalten an IWF-Programmen als Voraussetzung für einen Schuldenerlaß moniert. Der deutsche Vorschlag, schon nach drei Jahren Wohlverhalten unter IWF-Aufsicht Schuldenerlaß zu gewähren, wurde nicht aufgegriffen, Übergangshilfen sollen aber möglich sein. Auch der Umfang des Erlasses stößt auf Kritik. Die ärmsten Länder müssen immer noch dreimal so viel an Schuldendienst zahlen müssen, wie Westdeutschland nach der Reduzierung seiner Schulden 1953 zahlen mußte, rechnet die internationale Kampagne Erlaßjahr 2000 vor. Sänger Bono kommentierte, statt den Gipfel des Mount Everest zu besteigen, hätte die G 7 gerade mal den halben Aufstieg geschafft.
Der eigentliche Verlierer des Weltwirtschaftsgipfels ist diesmal Frankreich. Präsident Chirac scheiterte mit seinem Vorschlag eines Weltrates für Lebensmittelsicherheit. Angesichts der Probleme mit Dioxinhühnern, Hormonrindern und Gentomaten sei die Idee angekommen, sagte Schröder-Berater Gretschmann, aber damit solle sich eine noch zu gründende Arbeitsgruppe befassen.
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