: Knackis gucken Fernsehen – Fernseher guckt zurück
■ Staatsanwaltschaft bezeichnet Überwachungskamera im Knast-TV als rechtmäßig. Grüne kritisieren rechtliche Grauzone und Überschreitung der Verhältnismäßigkeit
Humor und Sarkasmus haben die Insassen von Tegel nicht verloren. Die nächste Ausgabe ihrer Gefängniszeitung Lichtblick wird mit der Titelgeschichte „Der große Bruder“ erscheinen. Darin gehen die Redakteure der Knastzeitung auf die Entdeckung einer Kamera ein, die ein Mitinsasse vergangene Woche im neu installierten Fernseher bei der Essenausgabe zur Diätküche gefunden hatte. Kurz nachdem der Apparat aufgestellt worden war, hatte der Häftling versucht, mit der Fernbedienung die Programme einzustellen. Plötzlich sah der Mann sein eigenes Antlitz auf der Mattscheibe. Empört holte er als Zeugen zwei Redakteure des Lichtblicks und die Anstaltsleitung. Im TV-Gehäuse fand sich eine stecknadelgroße Kamera.
Die Anstaltsleitung, die laut Justizpressesprecherin Svenja Schröder selbst überrascht war, teilte den Häftlingen daraufhin mit, daß die Maßnahme nicht auf ihr Geheiß hin angeordnet worden sei. Die Stimmung in Tegel sei deshalb nicht vergiftet.
Die Staatsanwaltschaft, die die Überwachung beauftragt hatte, hat dieses nach Angaben ihrer Sprecherin Michaela Blume auf Grundlage des Paragraphen 100c der Strafprozeßordung getan. Danach darf bei vorhandenem Verdacht eine derartige Kamera „bei Gefahr im Verzug auch ohne Wissen der Betroffenen zur Erforschung des Sachverhalts verwendet werden“. In diesem Fall liege der Verdacht gegen den Verstoß des Betäubungsmittelgesetz vor.
Der rechtspolititische Sprecher der Grünen, Norbert Schellberg, verlangt dennoch eine Prüfung, ob sich die Staatsanswaltschaft rechtlich in die Grauzone begeben habe. Zudem stelle sich die Frage „nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel“, so Schellberg. Es sei unklar, ob der Straftatbestand für eine derartige Maßnahme schwer genug sei und der Sachverhalt nicht auch anders hätte ermittelt werden können.
Die Sprecherin des Datenschutzbeauftragten wollte sich gestern zu dem Vorfall nicht äußern. Trotz dringener Bitte um Aufklärung habe die Staatsanwaltschaft zu dem Fall noch nicht Stellung genommen. Annette Rollmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen