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Schöner Wohnen mit wohlig geschütteltem Pueblo-Charme

■ Mit einer kleinen Ausstellung mit zeitgenössischem Kunsthandwerk beginnen die umfangreichen „Mexikanischen Kulturtage“

lle Welt hört Weltmusik. Was früher noch komischen Hippies mit Hang zum Vagabundieren, Lagerfeuerkochen und Selbstfinden vorbehalten war, ist mittlerweile bis in die ambitioniertesten Zirkel von Techno, HipHop, Jazz und E-Musik (wir sagen nur: Kronos-Quartett) vorgestoßen. Stellt sich die Frage: Warum gibt es diese angenehm globalisierenden Kultur-Samples kaum bei anderen Kunstgattungen. Etwa beim Design. Warum müssen wir immer noch unsere abendländisch-clean-keimfreien Alessi-Chromdosen täglich in stundenlanger Rubbelarbeit hochpolieren?

Der Mexikaner Raymundo Sesma sucht nach Abhilfe mit seinem Projekt „Advento“. Unter diesem halb utopischen (Advento heißt – wohliges Schütteln – „ankommen“), halb karitativen Logo (wer dächte nicht an vorweihnachtliche Spendenfreude) wollen Künstlerhandwerker aus Tecali de Herrera, einer kleinen Stadt im Bundesstaat Puebla, ihre Keramik- und Steinarbeiten in Europa bekannt machen – und verkaufen.

Sesma, ein in Mexiko nicht unbedeutender Künstler (Bilder und Video), der 1996 immerhin den Auftritt seines Landes bei der Biennale Venedig organisierte, muß irgendwie zuviel Beuys gelesen haben. Zwar nennt er sein Projekt zur Vermischung von Tradition und Zeitgeist, Kunst und Handel, Region und Welt, nicht Soziale Skulptur – aber so ähnlich, nämlich „Soziale Architektur“.

So sind also nun in einer guten Handvoll Schaukästen im 1. Stock des Überseemuseums wundervolle Zyklopenteller (etwa waschbeckengroß) oder kleinkindschwere Kerzenständer zu sehen, die sich vom herrschenden europäischen Design in anregender Weise unterscheiden. Louis Sullivans Terror-Maxime „Form follows function“ ist hier schlicht inexistent. Jeder Hohlkörper geht da als Vase durch, wenn er nur ein Loch zum Blumenstileinführen hat, egal ob er nun eher an eine Hochgebirgsminiatur, einen Kakadu, einen überdimensionierten Heiligen-Grals-Kelch oder ein höckriges Fantasiewesen erinnert. Manch schlammgrüne Lasur oder glattgeschmiergeltes Onyx-Steinmonster widerstrebt vielleicht dem westlichen Geschmack, in Summe aber erzeugt diese Ausstellung die Vision völlig neuer, ungeahnt reicher Design-welten. Manche Vasen von einer gewissen Betty Woodman etwa wirken postmodern verschachtelt wie das Groninger Kunstmuseum. Da paßt es vorzüglich, daß Sesma seinen Zweitwohnsitz in Mailand, der Heimat eines der Groningen-Architekten Alessandro Mendini, ist. Längst lassen sich (wenigstens in der Kunst) Süd und Nord nicht mehr auseinanderdividieren.

Nicht Wunder nimmt es, daß eine zweite Ausstellung mit dem Titel „Mexiko – zeitgenössische Kunst“ in dem fast schon frivol teuer-edlen Möbelhaus Willems (Martinistr. 24) beheimatet ist. Schneeglöckchen und kleeig-kandinskieske, üppige Bilder werden hierzulande eher unter dem Begriff Wohnkultur abgebucht als unter Kunst. bk

Weitere Ausstellungen u.ä. zum Thema „Mexiko: In der Villa Ichon sind „Fotografische Notizen“ des Schriftstellers Juan Ruolfo zu sehen (bis zum 16. Juli). Filme nach literarischen Vorlagen Rulfos zeigt das Kino 46 am 4./8./11./18. Juli in Originalfassung. Am 24. Juli gibt es eine Lesung von H.-J. Löwer über indianische Kulturen im Instituto Cervantes. Der Eintritt ist Eintritt frei. Mexikanisch kochen kann man am 25. Juni lernen (Tel. 324946). Am 27. Juni zeigt das Schnürschuh-Theater „Die Geburt der Sonne“

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