Ruckzuck Pausengong etc.: Kraftwerk inc.
■ Sensationell: Nach 13 Jahren Neues von der Dusseldorf Sound Machine. Zur Expo 2000 gleich sechs neue Tracks fertiggestellt.
Mit ihrer neuen CD „Expo-Jingle“ hat das Schweigen von Kraftwerk ein Ende. Die letzte Platte „Electric Café“ liegt schon 13 Jahre zurück, und selbst die digitale Wiederaufbereitung alter Werke (das Best-Of-Album „The Mix“) ist neun Jahre alt.
Als die Kraftwerk-Masterminds Florian Schneider und Ralf Hütter im November 1994 die Düsseldorfer Gentech-Messe inspizierten, ließ dies Schlüsse auf die neue thematische Ausrichtung des künftigen Tonträgers zu. Doch nicht Biotechnologie, sondern die Globalisierung bildet das aktuelle Thema der Düsseldorfer Elektropop-Formation. So veröffentlichten sie Ende Mai gleich sechs neue Tracks, schlicht Deutsch/Englisch/Französisch/Russisch/Spanisch/Japanisch genannt.
Die Gestaltung der CD ist im Minimal-Techno-Style gehalten (Helvetica auf rotem Grund) und kommt ganz ohne Booklet aus. Kraftwerks Verzicht auf Körperlichkeit scheint nach dem schrittweisen Aufgehen in der Corporate identity sowie ihrem Ersatz durch Roboter-Models nun perfekt. Jetzt steht das pure wie abbildlose Produkt „Expo-Jingle“ im Vordergrund. Es kommt auch gar nicht erst in den Handel, sondern wird unter Umgehung ihrer Partnerfirma EMI als Direktvertrieb der Expo-2000-Abteilung „Elektronische Medien“ ausgegeben. Hören kann man die sechs Tracks nur im Netz oder beim direkten Kontakt mit der Hannoveraner Weltausstellung: „Diese einprägsame und populäre Tonfolge wird künftig vielfältig eingesetzt: zur Ankündigung von Expo-Haltestellen in Bus, Bahn und Flugzeug, bei Preisverleihungen oder Pressekonferenzen, bei Rundfunk- und Fernsehübertragungen, zur Begrüßung im Internet, als Warteschleife des Call Centers oder als Aufführungsbeginn und Pausengong bei Expo-Veranstaltungen.“
Außergewöhnlich ist nicht nur die Präsentationsform, sondern auch die Prägnanz der sechs Melodien für Millionen. 00:31 Gesamtdauer und 5 Sekunden für jeden Song verzeichnet mein CD-Player. Veröffentlichten Kraftwerk früher ihre Platten in einer deutschen und einer englischen Variante, so wird nun ein einziger Song gleich in sechs Sprachen vorgetragen, wobei jede Version eine eigene Soundvariante erhält. Der neue Kraftwerk-Minimalismus präsentiert sich als durch Vocoder und Halleffekte elektronisierte Stimme, die feierlich „Expo 2000“ in den Sprachen der Global Players erklingen läßt. Als „Erkennungsmelodie der Weltausstellung“ in Hannover spiegelt die „Expo-Jingle“ den weltumspannenden Anspruch der Expo sowie der Dusseldorf Sound Machine wider. Ihr Kult-Job läuft auf allen Kanälen. Schon Kraftwerks erste Platte stattete 1970 das ZDF-Magazin „Kennzeichen D“ mit einer Erkennungsmelodie /„Ruckzuck“) aus. Und zur Tour de France 1982 produzierten sie einen Jingle im Singleformat, der zur diesjährigen Wettfahrt als CD wieder veröffentlicht wird.
„Es wird immer weitergehn/ Musik als Träger von Ideen.“ Per Mausklick ist Kraftwerk in die Expo 2000 inkorporiert. Hütter/Schneider sind keine Krautrock-Drogenhippies, sondern Fit-for-Business. Die 1968 gegründete Vorgängergruppe tauften sie „Organisation“. Ihr Standort – der „Schreibtisch des Ruhrgebiets“ – weitet sich zur Pop-Medien-Servicelandschaft aus. Die Düsseldorfer Vorstandsetage der Klingklang Konsum Produkt GmbH speist die Modernisierungsmaschine Popmusik und ist Teil des deutschen Exportüberschusses. Kraftwerks Fortschritt durch Techno-Pop spielt auf Rechnern made in Germany. Läßt Gerhard Schröder jetzt die Scorpions in der Weltausstellungs-Arena links liegen und rockt am 9. Juni 2000 gemeinsam mit der Kraftwerk Inc. die Expo-Jingles? Sichern Sie sich noch heute dieses wertvolle Sammlerstück. Jochen Becker
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