Liebeserklärung mit gutem Ton

■  Im Ku'damm-Karree wurde gestern die Ausstellung „Story of Berlin“ eröffnet. Dirk Nishen, der „Vater der Info-Box“, präsentiert dem Besucher die Geschichte der Stadt für Augen und Ohren

Im Kampf der Einkaufsmeilen um Passanten hat der Kurfürstendamm seit gestern eine neues Plus vorzuweisen. Was das Wachsfigurenkabinett von Madame Tussaud für London ist, soll die Ausstellung „Story of Berlin“ für die deutsche Hauptstadt werden. So zumindest schätzt Initiator Dirk Nishen die Attraktivität seines Projekts ein, für das ihm das profane Wort „Ausstellung“ ausreicht: „Exhivision“ nennt er sie , weil sie so besonders anschaulich sei.

Die abgebrochene Tragfläche eines amerikanischen Flugzeugs weist Touristen den Weg in das Ku'damm-Karree. Insgesamt rund 7.000 Quadratmeter umfaßt die Ausstellung, angeordnet auf vier Ebenen. Den moralischen Fall Deutschlands verfolgen die Besucher, wenn sie durch das „Wege zur Gleichschaltung“ betitelte Treppenhaus vom ersten Obergeschoß ins zweite Untergeschoß zu Nationalsozialismus, Zusammenbruch und Teilung hinabsteigen.

Aufwärts mit Berlin und den Besuchern geht es im letzten Teil der Austellung: Im 14. Stock wird der Fall der Mauer gezeigt – und ein grandioser Blick über die Dächer Berlins. Ein makaberes Kuriosum ist der – funktionstüchtige – Strahlenschutzbunker. Dieser bildet einen getrennten Bereich und muß nicht am gleichen Tag besichtigt werden: Die Eintrittskarte bleibt acht Tage gültig. „Wir wollten kein Aneinanderreihen von Vitrinen und Infotafeln“, erläutert Raumgestalterin Pascale Arndtz das Konzept. Entscheidende Phasen in der Entwicklung Berlins sollen die Besucher in Themenräumen erleben. So stoßen sie im Raum, der den Ersten Weltkrieg thematisiert auf einen Friedhof, dessen Grabplatten von welkem Laub bedeckt sind. Gleich nebenan können sie in den Klappsesseln eines kleinen Kinosaales der „Wilden Zwanziger“ Platz nehmen.

„Der Eindruck soll über das Visuelle hinausgehen“, betont Arndtz. Möglich wird das vor allem durch die ausgefeilte Tontechnik. Im Ausstellungsbereich „Militär und Aufklärung“ hört der Besucher Trommeln und Huftritte, Maschinenlärm beim Thema „Industrialisierung“. Die Klänge kommen aus einem Stirnband mit Minilautsprechern, das die Besucher aufsetzen. Das sieht zwar albern aus, erlaubt aber einen Klang mit Raumillusion und läßt im Gegensatz zu Kopfhörern die Ohren frei. Personal Sound Environment gab es bislang nur in einigen Imax-Kinos. Die Hintergrundgeräusche und -gespräche sind digital gespeichert und werden als Infrarotwellen ausgestrahlt. Vier Kanäle stellt das System; bislang werden davon erst zwei genutzt. Neben Englisch sollen in Zukunft zwei weitere Fremdsprachen angeboten werden.

Außerdem soll das Personal monatlich geschult werden, damit es den Besuchern zu Ausstellungsstücken mehr sagen kann als: „Nicht anfassen!“ Für Kinder gibt es ein einfachen Suchspiel, in dem sie einen kleinen Bären durch die Ausstellung verfolgen.

10 Jahre nach dem Mauerfall, zur „Stunde Null der Berliner Republik“ sieht Nishen die Zeit gekommen für seine Stadt-Zeitreise. Mindestens fünf Jahre soll die Ausstellung Berlins gut 760 Jahre Geschichte, von denen für Nishen „500 nicht so interessant sind“, zeigen. Nishen bezeichnet sein Projekt als „Liebeserklärung“ an die Stadt, der bereits die Info-Box am Potsdamer Platz konzipierte und verwirklichte.

Gekostet hat die „Story“ rund 15 Millionen Mark. „Alles ohne öffentliche Mittel finanziert“, betont Nishen, der von einer „überschaubaren Gruppe“ privater Investoren unterstützt wurde. Der Großteil der Gelder ging drauf für Software und Computertechnik. Dabei steht die Technik aber gar nicht im Vordergrund: „Sie ist integraler Bestandteil, in den Szenen versteckt“, erläutert Nishen. Im Umfeld Bettina von Arnims etwa gibt es ein Bücherregal, in das ein Bildschirm integriert ist. „Aber“, erinnert Nishen, „Multimedia bedeutet nicht nur Computer.“

Und das Ausstellungsmerchandising nicht unbedingt Kommerz: Der „Trödelladen“ verkauft beim Eingang der Ausstellung Unikate. Aus dem Erlös sollen Jugendprojekte in Stadtteilen gefördert werden. Wert legt Nishen auch auf die Zusammenarbeit mit anderen Museen. So ist der Schlüssel zum Brandenburger Tor eine Leihgabe des Stadtmuseums, und vom jüdischen Museum stammt ein Liebermann-Porträt, das nach 50 Jahren in den USA jetzt erstmals wieder in Berlin zu sehen ist. Beteiligen können sich auch Besucher mit Objekten oder Anekdoten, die in einer Datenbank gesammelt werden.

Das Spektakel hat seinen Preis: 16 Mark (ermäßigt 12) kostet der Eintritt bis Ende September; ab Oktober jeweils zwei Mark mehr. Allerdings gibt es eine Familienkarte, mit der zwei Erwachsene und drei Kinder für 40 Mark in die Geschichte Berlins eintauchen können. Marc Ermer ‚/B‘„History of Berlin“ im „Karree“ am Ku'damm 207/208 (Nähe Uhlandstraße), täglich 10 bis 20 Uhr, samstags bis 22 Uhr

Die Besucher bekommen ein Stirnband mit Minilautsprechern. Das sieht zwar albern aus, erlaubt aber einen Klang mit Raumillusion