Zwischen den Rillen: Wozu Viagra?
■ Buena Vista Solo Club: Ibrahim Ferrer, Eliades Ochea und Compay Segundo
BWL-Studenten, aufgepaßt! Es gehört ja zu den Grundlagen jedes Marketings, daß sich ein eingeführtes Produkt am besten durch leichte Variationen des Erfolgsmodells weiter vermarkten läßt. Laßt Zuwachsraten blühen – ausgerechnet am kubanischen Beispiel läßt sich die Anwendung dieser kapitalistischen Verwertungslogik in musterhafter Reinform studieren.
Der „Buena Vista Social Club“, den Ry Cooder vor drei Jahren mit einem bis dato unbekannten Haufen alter Kubaner aus der Taufe gehoben hat, ist ein Erfolgsprodukt. Nach über einer Million verkaufter Tonträger und dem Grammy-Gewinn folgen nun diverse Variationen in der Angebotspalette.
Pünktlich zum Start der Wim-Wenders-Dokumentation über die kubanische Altherrenriege in den Kinos haben die zentralen Protagonisten jetzt Solo-Alben nachgeschoben: Noch mehr Zucker von der Insel also – aber in verschiedenen Geschmacksrichtungen.
Modell „Lonesome Cowboy“: Eliades Ochoa sieht auf dem Cover seines Albums „Sublime Illusion“ nicht nur aus wie Johnny Cash, es gibt durchaus Parallelen zum Country-Kollegen aus den USA. Ochoa ist seit zwanzig Jahren der Leader des renommierten Cuarteto Patria. Das Ensemble feiert in diesem Jahr das sechzigste Jahr seines Bestehens und ist damit in etwa so alt ist wie Eliades selbst. Erst Eliades Ochoas Auftritt als Juniorpartner im Buena Vista Social Club hat ihn jedoch über Kennerkreise hinaus bekannt gemacht.
Freundliche Geleitworte von Ry Cooder im Booklet empfehlen Mister Ochoa als Größe des Guajiro-Stils, und das ist so etwas wie die kubanische Country-Musik. Aus dem Osten der Insel, dem kubanischen Hinterland, stammt dieser ländliche Sound, der noch stark spanisch geprägt ist und durch eine reduzierte Instrumentierung gefällt: Clave-Stäbe und Kalebassen geben den Rhythmus vor, Gitarre und Kontrabaß malen die Melodielinien, die sonst allgegenwärtigen Bläser kommen eigentlich nicht vor. Die Lieder, melancholische Romanzen, handeln häufig vom wenig fröhlichen Landleben. Und von Frauen natürlich, von Maria, Magdalena und dem kleinen Bauernmädchen von nebenan. Denen singt Eliades Ochoa, der einsame Cowboyhut, seine melancholischen Ständchen, und wer ein Herz hat, der muß dabei einfach mitfühlen.
Wenn Eliades Ochoa seine rustikalen Songs aus der Welt der Rancheros klampft, dann hat das den gleichen warmen und „natürlichen“ Klang, wie er damals im Studio in Havanna erzeugt wurde. Mit Beteiligung Ry Cooders und weiterer amerikanischer Roots-Musiker in Los Angeles aufgenommen, weist „Sublime Illusion“ jenen gewissen amerikanischen Einschlag auf, der die Songs vertraut klingen läßt. So gelingt es Eliades Ochoa, die Stimmung des Buena Vista Social Clubs treffend widerzuspiegeln. Zehn Punkte für Originaltreue.
Modell „sentimentaler Charmeur“: Der Sänger Ibrahim Ferrer hat das offizielle Gütesiegel, mit der Buena-Vista-Social-Club-Vignette präsentiert zu werden und auf einen Teil des Personals bauen zu dürfen – vor allem auf die Rhythmus-Abteilung und den Pianisten Ruben Gonzales. Ry Cooder stand seinem Lieblingspatenkind als Produzent zur Seite. Der schnurrbärtige Sänger mit der Schiebermütze gehört zu der Sorte Senioren, die ihren Lebensabend mit versonnenem Blick auf der Parkbank verbringen können, mit sich und ihrem Leben zufrieden. Mit seinem unverhofften Alterswerk geht er noch einmal zurück in seine große Zeit, in die Ära der frühen kubanischen „Radio Days“, zu traditionellen Boleros und romantischen Balladen der dreißiger und vierziger Jahre. Mit schmalzigen Streichern setzt die Musik ein, langsam steigert die Big Band das Tempo und öffnet Ibrahim Ferrer die Bühne zum großen Auftritt. Säuselnde Chöre und zarte Trompetensätze streichen Honig um seine Stimme, und über allem liegt die Atmosphäre alter Filmmusik. Absolut nostalgisch und altmodisch ist das, aber auch absolut unwiderstehlich: zehn Punkte für Originalität.
Modell „viriler Schwerenöter“: Compay Segundo braucht kein Viagra, er hat ja den Son. Der Troubadour mit der dreisaitigen Tres-Gitarre posiert am liebsten als Strahlemann mit dicker Zigarre vor alten Limousinen, ein König der kubanischen Straße, und protzt mit junger Geliebter. Wahrscheinlich hätte er es auch ohne Ry Cooder geschafft, noch einmal zum großen Comeback anzusetzen, den Plattenvertrag und das Selbstbewußtsein hatte er jedenfalls schon vor dem Buena-Vista-Boom. Mit 92 Jahren der Älteste in der Runde, weiß Compay Segundo um seinen Ruf als Maximo lider der kubanischen Musik, muß sich und der Welt folglich nichts mehr beweisen. Leider hört man das auch. Stolz und gutgelaunt, manchmal auch etwas schief, schrammelt und singt er unbekümmert seine grandiosen Klassiker, von Klarinette, Kontrabaß und jungen Sängerinnen begleitet. Am Ende zaubert er noch einmal seinen Buena-Vista-Hit „Chan Chan“ aus dem Panamahut hervor – spektakulär ist das nicht, aber dennoch: sieben Punkte für Souveränität. Und warum soll sich nicht jeder der verhinderten Ruheständler auf seine alten Tage noch eine goldene Nase verdienen?
Was fehlt? Ein Live-Album des Buena Vista Social Clubs. Es soll bald folgen. Daniel Bax
Eliades Ochoa: „Sublime Illusion“ (Virgin) „Buena Vista Social Club presents: Ibrahim Ferrer“ (World Circuit) Compay Segundo: „Calle Salud“ (eastwest)
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