Ich war dabei!

■ Ein „Veteran“ erzählt vom ersten „Gay Pride Day“ 1979 in Bremen: Wir bleiben unserm Grundsatz treu: „schwul, pervers und arbeitsscheu“ skandierte man hier wie in Berlin

Es war mindestens eine doppelte Premiere: Mit dem Schwulen Karneval in Bremen am 30. Juni 1979 erinnerten bundesdeutsche Homosexuelle zum ersten Mal an die Randale um die Schwulenbar „Stonewall Inn“ in der New Yorker Christopher Street, die heute als Symbol der Homo-Emanzipation gilt. Und für den Autor war die Teilnahme an der Bremer Veranstaltung der erste Auftritt als Schwuler in der Öffentlichkeit – dachte ich jedenfalls, denn natürlich hatte niemand mich bemerkt, keiner mich darauf angesprochen. Aber einem 18jährigen, der sich gerade erst einige Monate über das eigene Schwulsein klar war und der das erst kurz zuvor seinen Eltern gebeichtet hatte, verlangte das einigen Mut ab.

Wahrscheinlich haben die Knie gezittert, beim Treff auf dem Bahnhofsvorplatz – alle Welt würde die kleine perverse Schwuchtel sehen können. Konnte sie aber nicht, denn vor 20 Jahren lösten Homos, die ihren Stiftungstag begingen, keineswegs jenen Medienrummel aus, der in den Metropolen heutzutage zu beobachten ist. Keine Fernsehsender, die sich um Übertragungsrechte zankten, stattdessen nur zehn Zeilen ohne Foto in den „Bremer Nachrichten“. Trotzdem ist der Verfasser wohl froh gewesen, in der bunten Masse abtauchen zu können – immerhin waren es 600 Schwule und Lesben, die da durch die Bremer Innenstadt zogen. Hat Bremen eigentlich jemals wieder einen so großen Homo-Karneval erlebt?

Auf dem Marktplatz endete der Zug, dort gab's dann Straßentheater – wohl eher amateurhaft.

Schon Monate zuvor hatte die „Schwule Initiative Bremen „ (SchwaB), eine jener typisch studentischen, links geprägten Emanzipationsgruppen, „alle norddeutschen Schwulen“ – so ein Flugblatt aus damaliger Zeit – zur Teilnahme aufgerufen. Und tatsächlich waren Schwestern aus Berlin – wo man am gleichen Tag ebenfalls demonstrierte – Hamburg, Kiel, Bielefeld und Frankfurt angereist. Was die SchwaB in ihren Aufruf geschrieben hatte, klingt gar nicht so unaktuell: „Statt einer märtyrerhaft verbissenen ,Demo' denkt man in der Wesermetropole an einen lockeren, schreiend bunten Umzug. Eben an einen Karneval, provozierend und mitreißend zugleich.“ Auch die Verbindung zwischen Kommerz und Politik gab es schon: Bremens schwule Kneipen – seinerzeit genau zwei – hatten geschlossen und stattdessen zu einem Happening nach dem vormittäglichen Karneval in den Bürgerpark geladen und dort Bierzelte aufgeschlagen.

Nur der an diesem Premieren-Wochenende skandierte Slogan würde heute wohl nicht den rechten Zuspruch finden: „Wir sind die schnellen, die hellen Heterosexuellen; wir bleiben unserm Grundsatz treu: Schwul, pervers und arbeitsscheu!“

Auch wenn nur ein Teil des schwul-lesbischen Spektrums das Bremer Spektakel unterstützte, schon weil die AG Schwule im Kommunistischen Bund gleichfalls aufgerufen hatte – am Ende konnte sich auch die von der linken SchwaB als „scheißbürgerlich“ beschimpfte „Homosexuelle Interessengemeinschaft Bremen (HIB)“, die die schrille Anwesenheit zu vieler Tunten befürchtete, dem Ereignis nicht ganz entziehen. Offiziell hatte sie zum Boykott aufgerufen, dann waren aber doch HIBler vor Ort erschienen und verteilten Flugblätter: „Nicht provozieren, sondern diskutieren und informieren!“, stand darauf. Erst recht beim Kulturprogramm am Abend im Schlachthof mit Chanson, Kabarett und Theater war der Polit-Zwist dann vergessen.

Der kleinen Jugendschwuchtel mit den großen Ängsten schlotterten zwar weiter die Knie – einstweilen war sie froh, mit niemandem diskutieren zu müssen – aber ihr Coming-Out war ein gutes Stück vorangekommen.

Jörg Rowohlt, mittlerweile Redakteur beim „Hinnerk“