: Auf mondänen Promenaden
Die dritte VeloTour '99: Mit dem Fahrrad durch Usedom. Die Wiederentdeckung der Badewanne Berlins auf komfortabel ausgebauten Radwegen ■ Von Benno Koch
Die Usedomer könnten fast den Eindruck haben, daß man sie einfach rechts oben liegen läßt. Nicht wenige Hotels entlang der mondänen Strandpromenaden verfallen. Verwaiste Spekulationsobjekte stehen in unübersehbarem Kontrast zur neuen Pracht der alten Bäderarchitektur. Die „Badewanne der Berliner“ kann zwar die meisten Sonnenstunden im ganzen Land vorweisen, Sylt oder Mallorca liegen aber irgendwie näher. Und auch die Bahn hat sich kürzlich mit ihrem Fahrplan etwas Neues einfallen lassen. Auf der Rückfahrt von der Insel verpaßt jeder zweite Zug im Umsteigebahnhof Züssow den Anschluß nach Berlin um ganze vier Minuten.
Durchaus Erfreuliches ist vom Ausbau des mecklenburgischen Seen-Radweges in Ostvorpommern berichten. Auf ihm können Fahrradtouristen inzwischen weitgehend autofrei 91 Kilometer von Anklam auf und über die Insel Usedom bis nach Wolgast gelangen. Auch der Standard – wechselnd zwischen Asphalt, Kieswegen oder Betonsteinen – ist meist akzeptabel, manchmal sogar vorbildlich. Die Wegweisung – überwiegend kleine Holzschilder mit Orts- und Kilometerangaben – ist nahezu lückenlos. Und die Natur ist sowieso abwechslungsreich und reizvoll genug. Also sanfter Tourismus pur? Sicherlich nicht: Auf den zwei Bundesstraßen der Insel donnert der Autoverkehr, der vor Lärm und Dreck der Großstadt in die Seebäder flüchtenden Berliner. Und selbst auf den großen Übersichtstafeln des Radfernweges sind zwar alle Bundesstraßen zu finden, jedoch das Streckennetz der Usedomer Bäderbahn fehlt.
Eine (Wieder-)Entdeckungsreise mit dem Rad quer über die Insel ist aber in jedem Fall lohnenswert.
Nach zweieinhalbstündiger Bahnfahrt beginnt unser Radtourentip am Bahnhof der Hafenstadt Anklam. Der Weg führt ins Stadtzentrum, biegt am Markt hinter der Kirchenruine St. Nicolai zum Hafen ab und überquert auf einer schmalen Holzbrücke die Peene. Die Bahnlinie muß noch auf der Bundesstraße überquert werden, bevor der ausgebaute Radweg beginnt. Vorbei am Peenetalmoor werden die Dörfer Relzow, Libnow und Pinnow durchquert. Weiter über Johanneshof zur Zecheriner Brücke ist der Asphalt fast noch warm, so neu ist hier der Radweg. Nun hat man erstmals den ersehnten Inselboden unter dem Reifen, verläßt die stark befahrene B 110 und gelangt auf der ruhigen Landstraße über Zecherin und Kölpin nach Karnin. Schon von weitem sichtbar stehen die Reste der riesigen Eisenbahnhubbrücke im Strom. Bis 1945 fuhr hier der Bäderzug in nur dreieinhalb Stunden von Berlin über Ducherow nach Swinemünde. Vor der einrükkenden Roten Armee sprengten Wehrmachtssoldaten am Ende des Zweiten Weltkrieges die 300 Meter lange Stahlkonstruktion. Inzwischen wurde der alte Bahnhof an der Brücke mit Fördergeldern rekonstruiert und soll Ausgangspunkt für die mögliche Wiederbelebung der Strecke sein.
Weiter führt der Weg in die Kleinstadt Usedom. Im Jahre 1228, als die Stadt noch eine slawische Burg war, trat hier der pommersche Adel vom heidnischen Glauben zum Christentum über. Vom beschaulichen Marktplatz radelt man zur B 110, folgt dem dichten Verkehr bis in den Usedomer Stadtforst, wo in einer Rechtskurve linker Hand ein nicht ausgeschilderter Waldweg nach Suckow abzweigt. Abseits des ausgebauten Radweges lohnt sich hier ein Abstecher in den Lieper Winkel, später entlang der Allee über Krienke, Rankewitz, Liepe nach Warte. Auf der noch immer etwas abgelegenen Halbinsel ist in Liepe die mit fast 800 Jahren älteste Kirche Usedoms zu finden. Umgeben von Achterwasser und Peenstrom, vorbei an reetgedeckten Häusern und weiten Feldern, wählt man für den Rückweg den unbefestigten Wanderweg nach Krienke. Nun wieder auf einer kleinen Verbindungsstraße geht es über Morgenitz nach Mellenthin. Im romantischen Wasserschloß aus dem 16. Jahrhundert kann man dort für ganze 20 Mark übernachten (Tel.: 038 379 20 400 o. 313) und sich dem verfallenen Charme von 400 Jahren Landadel und 40 Jahren DDR hingeben. Ein Feldweg führt weiter nach Katschow, wo sich die Landstraße nach Kachlin und Dargen anschließt. Hier trifft man wieder auf den ausgebauten Radweg und folgt diesem über die Dörfer Bossin, Neverow, Kutzow, Gartz, um Kamminke zu erreichen. Unterwegs sind wieder die alten Bahndämme, Brücken und Stellwerke der abgebauten Eisenbahnlinie nach Swinemünde zu finden. Über die Hügel von Golm und Korswandt werden schließlich die Seebäder Ahlbeck und Heringsdorf erreicht.
Bis hierhin ist die Tour durchaus an einem Tag zu schaffen, um mit der Bahn zurückzufahren. Deutlich luxuriöser als im Wasserschloß Mellenthin kann man hier natürlich auch übernachten. Beispielsweise im fahrradfreundlichen Strandhotel Heringsdorf (Tel. 038 378-2320) schläft man für ganze 93 Mark nur 30 Meter vom breitesten Sandstrand der Insel entfernt – den Blick auf die Ostsee inklusive. So kann man auf dem Weg nach Wolgast den Strand, das Meer und die Insel einen weiteren Tag sanft genießen.
Radtour: bis Mellenthin ca. 55 km, bis Heringsdorf ca. 95 km, bis Wolgast ca. 140 km (jeweils mit Abstecher Lieper Winkel).
Hinfahrt: von Berlin Lichtenberg mit RB 22 ab 5.37 Uhr alle zwei Stunden, von Berlin Ostbahnhof mit IR ab 8.46 Uhr alle zwei Stunden.
Rückfahrt: mit Usedomer Bäderbahn (UBB) im 30-Minuten-Takt nach Wolgast Fähre, umsteigen in Wolgast Hafen (letzter Zug um 19.05 Uhr) und Züssow.
Information: Tourismusverband Insel Usedom e.V., Tel.: 038 375/234 10.
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