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Hämmer auf Hochglanz

■  „werk.zeug“, ein kurioses 90er-Jahre-Magazin aus Wien, nimmt den englischen Computerbegriff „tool“ wörtlich

Die spinnen, die Österreicher. Eine Zeitung für Handwerker und Computernerds gleichzeitig, kann das funktionieren?

In dem Wiener Magazin werk.zeug jedenfalls wird seit zweieinhalb Jahren und neuerdings in Hexachrome-Farbdruck (sehr leuchtend!) genauso über Neuigkeiten vom Schlagbohrermarkt berichtet wie über Virtual-Reality-Projekte aus Boston. Futuristische Models stellen neue Entfernungsmesser vor, daneben steht ein Text über den Erfinder des World Wide Web, und in der Leatherman Story wird die Geschichte des meistverkauften Werkzeugs der Welt rekapituliert.

Denn Werkzeug heißt auf Englisch tool, und damit sind wir auch schon mittendrin in der Computerwelt. Denn wie heißt es im Impressum (ganz unscheinbar zwischen den Angaben zu Vertrieb und Werbeagentur)? „Richtung: Der Mensch in der Informationsgesellschaft, die Werkzeuge, die er nutzt und die ihn formen.“

Warum dieser Satz so sperrig-philosophisch dasteht, erklärt der 29jährige Herausgeber Michael Marcovici: „Wegen der Werbekunden. Es gab immer wieder Mißverständnisse, eigentlich haben wir mit Bosch, AEG etc. eine sehr große und positive Werberesonanz, aber zum Beispiel IBM, die ja sehr gut reinpassen würden, haben bitterböse klargestellt: Wir stellen kein Werkzeug her!“ Der Mann mit der innovativen Idee eines gemeinsamen Präsentations- und Informationsforums für Kreissäge und Computerprogramm hat nach Eigenaussage zwar „keinen Schimmer“ von klassischen Werkzeugen, aber tönt fröhlich ein „Technologie ist Lifestyle geworden“ hinterher.

Lifestylig ist die Zeitschrift nicht zu knapp, jede Meldung garniert ein durchgestyltes Foto, jede Schrift leuchtet auf pixeligem Techno-Hintergrund. Das also sollen sich mufflige „Ersma'n Bier“-Handwerker zur Pflichtlektüre machen? (Sind die Space-Models dafür nicht viel zu dünn?) „Wir wollen in Zukunft weg von den altmodischen Werkzeugen und den Schwerpunkt immer mehr auf moderne Geschichten, Computer, Internetprojekte, bis hin zu Mode und Musik setzen“, gibt Marcovici denn auch zu.

So scheint das Unikum werk.zeug denn auch das perfekte Infotainment für die Computerkids und -thirtysomethings der 90er, samt seinem (recht eigenwilligen) Umgang mit der Wahrheit: Da kann auch mal ein Text reine Fiktion sein oder ein sogenannter Future Tool gar nicht existent. Den Mix aus Reportagen, echten und virtuellen Werkzeugen garniert also eine Prise absurder Künstlichkeit (oder Kunst), die das Heft noch ein Stück weiter weg vom Heimwerkerversandkatalog rückt.

Und was, wenn ein verrückter, sagen wir, japanischer Maschinenfreak genau jenes fiktive Meßgerät kaufen will, das irgendwo zwischen die realen Neuerscheinungen gemischt wurde? „Wir kennzeichnen die ausgedachten Sachen“, grinst Marcovici pfiffig, „oder geben irgendeinen utopischen Preis an: 1.000.000.000 Dollar ...

werk.zeug erscheint in einer Druckauflage von 40.000, von denen allerdings, so Marcovici, nur rund 6.000 (inbegriffen etwa 1.000 Abonnenten) regulär verkauft werden. Ein paar hundert Exemplare des Heftes verschickt der Verlag „Guttmann & Marcovici“ alle zwei Monate, wenn eine Nummer erscheint, nach Japan. „Es gibt richtige Fans in Tokyo“, behauptet Marcovici, „und wir kriegen viele Artikel von dort.“ Überhaupt haben die Mitarbeiter für die „internationale Recherche“ laut Impressum recht klangvolle Operationsbasen: New York, Tokyo, Paris, Prag. „Nun ja, wir arbeiten sehr oft mit freien Autoren und Autorinnen, übrigens vielen aus Berlin, und die verdienen nicht gerade königlich“, erklärt der Herausgeber dazu. „Eigentlich wird werk.zeug ein bißchen von unserem zweiten Projekt Street mitgetragen.“ Street ist ein kostenlos verteiltes Modemagazin für die Szene, das ganz ohne Text auskommt, dafür aber mit Schnappschüssen von Leuten auf der Straße aufwartet. Ob Heft ohne Worte oder sinnliches Gerätemagazin, für die Österreicher scheint die Zukunft bunt zu sein – Hexachrome-Farbdruck mindestens. Jenni Zylka

„werk.zeug“ kostet 6 Mark und gibt's im gut-sortierten Zeitschriftenhandel oder direkt bei: werk.zeug, Esterházygasse 15, A-1060 Wien. Die nächste Nummer erscheint im August.

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