: Es liegt Liebe in der Luft
Jahrelang mochten sich die US-amerikanischen Tennisgrößen Sampras, Agassi und Courier nicht richtig leiden. In Wimbledon entwickeln sie positive Gefühle ■ Von Matti Lieske
Wimbledon (taz) – Mehr als zehn Jahre hat er mittlerweile auf dem Buckel, jener famose Geist von Göteborg, der damals vier dikke Freunde – Boris Becker, Eric Jelen, Carl-Uwe Steeb, Patrik Kühnen – erstmals den Davis-Cup gewinnen half. Dem deutschen Tennisteam ist der hilfreiche Bursche längst abhanden gekommen, und in Wimbledon stellte sich nun heraus, wohin er sich geflüchtet hat: zu den Amerikanern.
Die hatten lange ihre liebe Not mit der Davis-Cup-Mannschaft. Die besten Spieler waren sich nicht grün, diejenigen, die Grand-Slam-Turniere gewinnen oder die Nummer eins werden wollten, waren kaum noch zum Team-Einsatz zu bewegen. Erschwerend kam hinzu, daß die Tennisgeneration nach Connors und McEnroe quasi gemeinsam aufgewachsen war. Schon als Halbwüchsige spielten Pete Sampras, Andre Agassi, Michael Chang, Jim Courier und Todd Martin ständig gegeneinander, Agassi und Courier teilten sich sogar ein Zimmer in Nick Bollettieris Tennis-Akademie.
Der gegenseitigen Zuneigung war das alles nicht förderlich. „Sie waren immer ernsthafte Hindernisse in meiner Laufbahn“, sagt Andre Agassi. Was eine einleuchtende Erklärung dafür ist, daß gemeinsam ein Bier zu trinken „nicht immer oberste Priorität hatte“. Es sei ein gewaltiger Unterschied, ob man wie die für ihren Zusammenhalt bekannten Spanier oder Australier zehn Leute in den Top hundred habe oder vier Spieler unter den besten fünf der Welt, wie bei den USA phasenweise der Fall.
„Wenn es Jim, Pete und Michael nicht gäbe“, sagt Agassi, „hätte ich viel mehr Grand-Slam-Titel.“ Außer dem 27jährigen Chang ist das magische Viereck, das zusammen 20 Grand-Slam-Titel aufweist, in Wimbledon komplett vertreten. Es repräsentiert immer noch die Quintessenz des US-Männer-Tennis. Während die größten Hoffnungen, Jan-Michael Gambill (22) und Paul Goldstein (22), in der dritten Runde ausschieden, waren es einmal mehr Sampras (27), Agassi (29), Courier (28) und Martin (27), die das Achtelfinale erreichten.
Und es tun sich wundersame Dinge. „Es liegt Liebe in der Luft“, säuselte Sampras und amüsierte sich köstlich, „ich fühle Liebe.“ Grund für seine ironische Anwandlung war das Auftauchen Agassis auf der Tribüne des Centre Courts, von wo aus er Jim Courier gegen Carlos Moya anfeuerte, ein vor gar nicht langer Zeit völlig undenkbarer Vorgang. „Ich liebe das“, hatte Courier kommentiert, „es gibt ja so viel Liebe in der Umkleidekabine“, spöttelte Sampras.
Doch auch er selbst ist nicht ganz unschuldig am Beginn wunderbarer Freundschaften. Nach Agassis Sieg bei den French Open griff er tatsächlich zum Telefonhörer und gratulierte, was er bis dahin noch nie bei einem Spieler getan hatte. „Ich war wirklich von den Socken“, wundert sich Agassi, der es aber wie Sampras in ernsteren Momenten vorzieht, für Liebe das Wort Respekt zu benutzen.
Sampras anfeuern will er aber nicht. „Der hat das noch nie nötig gehabt.“ – „Wir alle sind inzwischen sehr zufrieden damit, wer wir sind, und es gibt nicht mehr diese Eifersucht und diesen Neid“, sagt Courier. Was alle Beteiligten mit fast ähnlichen Worten bestätigen.
Die neue Harmonie könnte sich auch auf das Davis-Cup-Team der USA auswirken, dessen unangefochtener Chef in letzter Zeit Jim Courier gewesen ist, da Agassi und Sampras nicht mehr dabei waren. Couriers Vorstellung im April in Birmingham ist der eigentliche Ausgangspunkt des sprießenden Gemeinschaftsgefühls. Damals hatte er vor 10.000 fanatisierten Briten die hochfliegenden Hoffnungen der Engländer praktisch im Alleingang beendete und dabei Tim Henman und Greg Rusedski die bittersten Niederlagen ihrer Karrieren beigebracht. Danach fragte Sampras bescheiden an, ob er im Juli in Boston beim Viertelfinale gegen Australien wieder mitspielen könne, wenigstens im Doppel, und sogar vom heftig mit dem Verband zerstrittenen Agassi kommen plötzlich versöhnliche Signale.
„Der Sport tendiert dazu, das Menschliche zu transzendieren“, philosophiert Agassi über Couriers sensationellen Auftritt in Birmingham, „man muß nicht einmal Tennis mögen, um sich mit jemandem zu identifizieren, der die Wahrscheinlichkeit umkehrt und mit widrigsten Situationen fertig wird. So was ist größer als das Spiel selbst.“ Es scheint, der Geist von Göteborg hat tatsächlich eine neue Heimstatt gefunden. Vielleicht sollte sich Boris Becker ja bei den Amerikanern als Teamchef bewerben.
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