: Im Zweifelsfall ist es geheim
■ Obwohl die Pinochet-Diktatur in Chile vor fast zehn Jahren abgedankt hat, werden ihre repressiven Pressegesetze weiter gegen Journalisten eingesetzt. Neue Regeln liegen auf Eis
Journalisten in Chile leben auch ungefähr zehn Jahre nach der Rückkehr des Landes zur Demokratie gefährlich. Die Zeiten, als mißliebige Berichterstatter sogar ermordet wurden, sind zwar vorbei. Aber auch im Nach-Pinochet-Chile werden Journalisten angezeigt, verhört und verhaftet. Besserung ist nicht in Sicht: Der Entwurf für ein neues Pressegesetz ist seit geschlagenen zehn Jahren ohne Entscheidung.
Die prekäre Rechtslage wurde zum Beispiel Paula Afani zum Verhängnis: Die Redakteurin der überregionalen Tageszeitung La Tercera wurde Mitte Januar im Verlagshaus verhaftet. Ihr „Verbrechen“: Sie berichtete über ein Ermittlungsverfahren, das der Richter für geheim erklärt hatte. Nach den gültigen Gesetzen macht sich in solchen Fällen nicht nur der Gerichtsmitarbeiter strafbar, der das Geheimnis bricht, sondern auch der Journalist, der darüber berichtet. Mit diesem Publikationsverbot, das ohne genaue Begründung verhängt wird, wurden bislang vor allem Verfahren wegen Menschenrechtsverletzungen unter der Pinochet-Diktatur belegt. Nachdem die Reporterin sich geweigert hatte, den Namen ihres Informanten preiszugeben, erließ der ermittelnde Richter einen Haftbefehl, der jedoch wenig später aufgehoben wurde.
Eine Nacht in U-Haft folgt schon mal einem Artikel
Schon im September verhafteten Polizisten bei La Tercera den Gerichtsreporter José Ale und den damaligen Chefredakteur Fernando Paulsen. Der eben zurückgetretene Chef des Obersten Gerichtshofs, Servando Jordán, hatte gegen sie geklagt. Es ging um einen Artikel, der Korruptionsvorwürfe gegen den Richter zusammenfaßte. Aufgrund des Staatssicherheitsgesetzes, das die höchsten Politiker und Beamten des Landes mit noch härteren Strafen als für Normalbürger gegen Beleidigungen schützt, landeten die Journalisten im Gefängnis. Begründung: Der Text würde die „öffentliche Ordnung“ gefährden. Da am Tag der Verhaftung angeblich kein Richtergremium zusammengestellt werden konnte, um die Journalisten gegen Kaution freizulassen, mußten sie bis zum nächsten Morgen hinter Gittern ausharren. Nach dem gleichen Gesetz wurde Mitte April das „Schwarzbuch der chilenischen Justiz“ verboten (taz vom 29. 4.) und am 16. Juni zwei Verlagsmitarbeiter festgenommen.
Einem Bericht der US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) zufolge wurden allein auf Grundlage des Staatssicherheitsgesetzes seit der Demokratisierung mindestens 24 Journalisten und Politiker belangt. Zwar werden die Haftstrafen oft zur Bewährung ausgesetzt. Doch ein paar Stunden in Untersuchungshaft sind keine Seltenheit. Ähnlich fragwürdig ist, daß bis heute Militärtribunale auch Zivilisten wegen Meinungsäußerungen aburteilen können. Zwar wurden 1991 die Kompetenzen dieser Gerichte eingeschränkt. Dennoch dürfen sie weiterhin gegen Journalisten vorgehen, die angeblich mit ihren Veröffentlichungen Soldaten zur Meuterei motiviert haben.
Angesichts der offensichtlich veralteten Bestimmungen brachte schon der erste demokratisch gewählte Präsident des Post-Pinochet-Chiles, Patricio Aylwin, ein neues Pressegesetz in den Kongreß ein. Nach jahrelanger Diskussion und Änderungen liegt das Werk nun seit über einem Jahr dem Abgeordnetenhaus vor. Dennoch haben die meisten Mitglieder des zuständigen Rechtsausschusses den aktuellen Entwurf noch nicht einmal gelesen, wie Abgeordnete auf Anfrage bestätigen. Die in dem Papier vorgeschlagenen Fortschritte lassen daher auf sich warten – z. B. das Ende des Berichtsverbots über „geheime“ Ermittlungsverfahren.
Den Pressemonopolen der Pinochet-Ära passiert nichts
Einen der „gefährlichsten Punkte“, nämlich das Staatssicherheitsgesetz, berühre das Gesetzesvorhaben nicht einmal, klagt Fernando Silva, der Generalsekretär des Verlegerverbands. Auch deshalb hat Jorge Donoso, Präsident der Journalistenkammer, die Regierung aufgefordert, das Vorhaben zu stoppen. Das größte Problem der Medien in Chile lasse es überdies unangetastet: Der Pressemarkt sei fest in der Hand von zwei Konzernen, Copesa und El Mercurio. Donoso: „Beide repräsentieren Gedankengut der Rechten.“
Daß das Gesetzesvorhaben in Sachen Medienkonzentration untätig bleibt, dürfte auch der Grund sein, weshalb die konservativen Parteien RN und UDI das Projekt eher unterstützen als die regierende Anti-Pinochet-Koalition Concertación. Um das Pressemonopol der Rechten zu brechen, fordern Journalist Donoso u. a., Marktanteilsbegrenzungenfestzulegen. Schließlich sei die aktuelle Medienkonzentration unter wettbewerbsverzerrenden Bedingungen zustandegekommen. Die Pinochet-Diktatur habe Publikationen verboten und Anfang der 80er Jahre die beiden großen Medienkonzerne mit günstigen Krediten subventioniert. Auf dieser Grundlage hätten die Konzerne unter den demokratischen Regierungen ihre Monopolstellung ausbauen können, ergänzt der Medienexperte Frank Priess vom Lateinamerika-Forschungszentrum der Konrad-Adenauer-Stiftung. Er glaubt, das neue Gesetz würde den bestehenden Medien zwar größeren Spielraum geben. Eine wirklich freie und vielfältige Medienlandschaft könnte sich in Chile so aber nicht entwickeln. Jost Maurin
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