Gestern noch links, heute schon grau?
: Nicht alle Jungen drängen in die Mitte

■ Streitgespräch: Autor des umstrittenen Papiers der Junggrünen, Jens Kröcher, verteidigt seine Partei-Kritik

taz: Jens, in Eurem Positionspapier haben sich die Unterzeichner als die „zweite Generation“ der Grünen bezeichnet. Was ist denn der 18jährige Jan Fries von der Bremer Grünen Jugendinitiative für Dich?

Jens Kröcher: Er gehört genauso wie ich zur zweiten Generation. Das, was wir beschreiben, ist allerdings nicht ausschließlich eine Frage des Alters. Klar: Die meisten von uns sind zwischen 25 und 30 Jahre alt. Wir haben eine andere Lebenserfahrung als viele der 68er. Aber, und das ist das Wesentliche: Wir wollen beschreiben, was uns im Moment nicht an der Partei gefällt, was man anders machen könnte und sollte. Seit knapp zwei Jahren haben wir in der Partei immer wieder Diskussionen, an deren Ende ein Kompromiß steht, aber niemand ist so recht zufrieden. Mit Formelkompromissen machen wir alle Gegensätze platt. Am Ende entsteht der Eindruck, daß es mindestens drei, vier Meinungen bei den Grünen gibt, und nichts mehr erkennbar ist. Das muß man abstellen.

Jan, glaubst Du, daß man mit dem Papier so einen Zustand abstellen kann, oder führt das einfach zu einer Polarisierung?

Jan Fries: Ich finde auch, daß man sich innerhalb der Partei mehr streiten muß. Aber ich teile den Inhalt des Papiers nicht. Es ist falsch, wenn man einen so klaren Schnitt mit der Grünen-Tradition macht. Ich habe mir die Partei auch nach ihrer Tradition ausgesucht. Ich fühle mich auch nicht auf dem „verstaubten Dachboden“, wie Ihr schreibt, wohl. Bei einer neuen Diskussion um die Inhalte muß nicht alles Alte von vorneherein verworfen werden.

Jens, gehört Jan eher zur alten Garde bei den Grünen, weil er auf die Tradition pocht?

Kröcher: Nein. Er ist einen Schritt weiter als die, die wir kritisieren: Jan sagt, wir brauchen Entscheidungen, müssen Dinge auch in einer Kontroverse austragen können. Aber wir bewegen uns nicht in dem Lebensentwurf der 68er. Wenn ich bei den Grünen eintrete, darf das nicht heißen, das ich nie wieder zu McDonalds gehen darf. Die Forderung ist, für pragmatische, konkrete Erfolge zu streiten: zum Beispiel für ökologische Verpackungen. Wenn man mit bestimmten Mehrheitsentscheidungen nicht mehr leben kann, dann muß man sich auch entscheiden, ob die Partei noch das richtige ist. Was bei einem Mannschaftsspiel nicht geht, ist, das die Hälfte der Mannschaft auf einmal sagt, wir schießen jetzt auf das eigene Tor. Da sind dann auch Auswechslungen fällig.

Einerseits willst Du Diskussion, andererseits sagst Du, daß bestimmte Grüne in der Partei nichts mehr zu suchen haben.

Kröcher: Ich will die Leute animieren, zu beschreiben, was sie selbst an Perspektive haben. In einer Gruppe von Leuten mit gemeinsamen Zielen kann nicht jeder auf seiner Meinung beharren. Mehrheitsentscheidungen sind eben Entscheidungen. Ein Chor von drei Positionen ist dann kaum nützlich, um rüberzubringen, wofür die Grünen eigentlich stehen.

Fries: Die Formulierung: „Man muß Teile der Mitgliedschaft austauschen“ zeigt doch deutlich, was ihr wollt. Es tut einer Fraktion gut, wenn sie Querdenker hat, die bei einer Gewissensentscheidung wie dem Militäreinsatz das Recht haben, gegen den Strom zu schwimmen. Wenn man auf solche Leute verzichtet, verliert die Partei sehr viel.

Kröcher: Einen Pluralismus muß es geben. Aber er findet seine Grenzen da, wo er sich gegen das gemeinsame Interesse der Partei richtet. Wenn grüne Anti-Kriegs-Initiativen sagen: Kein Wahlkampf für die Grünen, keine Stimme für die Kriegsparteien – dann ist die Grenze überschritten. Das ist parteischädigendes Verhalten.

Fries: Moment mal. Es muß doch den Bundestagsabgeordneten, die sich von einem solchen Aufruf distanzieren, möglich sein, dennoch gegen den Krieg zu argumentieren. Die Grünen haben ihren Endpunkt, was Friedens- und Außenpolitik angeht, noch nicht gefunden. In so einer Debatte sind Menschen wichtig, die helfen, eine militärkritische Position zu finden, die gleichzeitig Menschenrechten gerecht wird.

In dem Text steht auch, daß die Autoren „das brachliegende geistige Erbe des verantwortungsvollen Liberalismus aufnehmen“ wollen. Was ist von so einer Formulierung zu halten?

Fries: Bürgerrechte sind ein wichtiges Thema für die Grünen. Wenn die Grünen aber das liberale Erbe in Wirtschaftsfragen übernehmen, machen sie einen Fehler. Da müssen Grenzen definiert werden. Wenn man Ökologie ernst nimmt, kann man das nicht auf das Marktinstrument Ökosteuer reduzieren, sondern man braucht auch einen Staat, der da eine kontrollierende Rolle wahrnimmt. Das gleiche gilt für den Sozialbereich.

Kröcher: Die Partei sollte sich darauf festlegen, den Menschen eigenen Gestaltungswillen zuzugestehen. Mehr Bürgerbeteiligung durch Volksbegehren zum Beispiel. Aber auch in Wirtschafts- und Umweltfragen: Flexible und pragmatische Lösungen bietet keine andere Partei an. Die Aufgabe der Grünen ist es, Nachhaltigkeit in der Finanz- und Wirtschaftspolitik einzufordern. Da haben wir eine große Aufgabe vor uns, angesichts der Sparzwänge.

Fries: Ohne neue Einnahmequellen wie die Vermögenssteuer werden wir nicht in der Lage sein, die Ungerechtigkeiten zu verkleinern. Was wir beobachten, ist aber eine Privatisierung im Bildungswesen, Einsparungen im Jugendbereich und so weiter – das sind zwangsläufige Folgen der Politik, die Du beschreibst. Das führt zu einer sozialen Polarisierung.

Kröcher: Unsere traditionellen Bedenken müssen aber überprüft werden. Wir haben immer gesagt, wir sind gegen ein Abitur nach 12 Jahren. Frag mal jemanden in unserer Generation, ob er dagegen noch ideologische Bedenken hat, wenn das mit den Inhalten machbar erscheint. Da sind wir in einer Starrheit. Ständig wiederholen wir: Konsolidierung führt zu sozialer Ungerechtigkeit. Man kann aber sozial gerecht sparen, wenn man auf das verzichtet, was überflüssig ist, und wenn man sich dem Druck unterzieht, das Wünschbare von dem Machbaren zu trennen.

Wer von Euch beiden ist denn jetzt konservativer?

Fries: An bestimmten Stellen ist es vielleicht sehr ehrenhaft, konservativ zu sein: Das heißt ja zum Beispiel auch, die Umwelt zu bewahren. Dann bin ich gerne konservativ.

Kröcher: Auch für mich ist der Begriff nicht negativ besetzt. Ich bin nicht jemand, der nur neoliberales Gut ein wenig anders verpackt hat – das trifft es nicht. Aber wenn man in einer Debatte manchmal Antworten gibt, die auch die CDU geben könnte, habe ich damit ebensowenig ein Problem, wie wenn man sich wieder auf die grünen Gründungsväter bezieht.

Haben sich die Alt-68er zu sehr von den Themen der Jugend entfernt?

Fries: „Die“ Alt-68er in unserer Partei gibt es doch gar nicht. Der Bremer Bürgerschaftsabgeordnete Hermann Kuhn hatte Berufsverbot, weil er in kommunistischen Parteien war – heute ist er einer der konservativsten Leute bei uns. Andere Leute haben sich nicht so weit bewegt. Neue Leute müssen her, damit die Debatten sich nicht widerholen. Aber das mache ich nicht an der Generationenfrage fest.

Kröcher: Die 68er haben – bei aller von Jan richtig beschriebenen Notwendigkeit zur Differenzierung – zwei Dinge eingeführt: Sie predigen die Wahrheit, statt zu überzeugen. Das geht unheimlich vielen Leuten auf den Keks. Und zweitens: Es wirkt nicht sonderlich beeindruckend, wenn die Bürgerinnen und Bürger gesagt bekommen, wie toll wir uns wieder als Partei der 68er bewegt haben. Die Inszenierung, man sei durch die Institutionen marschiert, ist eine nette Erkenntnis – aber mich nervt das eher, als daß es mich weiterbringt.

Fragen: Christoph Dowe