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Normalzeit

Hochstapeln – aber wie?  ■ Von Helmut Höge

An sich sind mir die erkenntnisheischenden Dualismen – wie Kapital und Arbeit, Frauen und Männer, Ost und West usw. – durchaus geläufig. Aber man wird doch immer wieder überrascht. So zum Beispiel von der neuen Studie des Forschungsinstituts Dr. Langrock aus Hoyerswerda: „Zschadraß und der falsche Arzt Postel“, die soeben im Elbe-Dnjepr-Verlag erschien.

Über den Bremer Briefträger Gerd-Uwe Postel, der seit 1980 immer wieder mit falschen Papieren als Arzt arbeitete, ist viel geschrieben worden. Er selbst veröffentlichte 1986 mit dem Bremer Pressesprecher von Barschel und Pfeifer ein Buch über seine Mitwirkung an der „Barschel-Engholm-Affäre“, deretwegen er 1995 vor dem Kieler Untersuchungsausschuß auftrat. Im Spiegel schrieb Gerhard Mauz hernach über Postels Rolle in dieser Affäre: Gewiß sei nur, „daß da ein Artist sein Spiel treibt“. Der echte Gerichtsgutachter Maisch hatte zuvor über den falschen Gerichtsgutachter Postel geurteilt: Das ist kein Hochstapler, sondern ein Süchtiger – eine „neurotisch gestörte Persönlichkeit“. Überdies veröffentlichte die Gerichtsreporterin Peggy Parnass ihre Erfahrungen mit Dr. Dr. Clemens von Bartholdy, so nannte sich Postel als Liebhaber vereinsamter Ärztinnen und Juristinnen. Eine Ärztin brachte ihn in den 70ern auch auf die Arztidee, indem sie ihn, der gerade mit einem falschen Abiturszeugnis aufgeflogen war, mit auf eine Arztparty nahm. Hinterher sagte Postel sich: Das kann ich auch!

In Dr. Langrocks Studie nun geht es vor allem um die Ostklinik Zschadraß und ihre wunderbaren Mitarbeiter und daß es bei all den hochstaplerischen Wessis, die seit der Wende über den Osten herfallen, ja irgendwann so kommen mußte: daß ein echter Westhochstapler diese an sich ehrenwerte Einrichtung heimsuchte. Ausführlich wird dabei versucht, die besonders von Stasi-Verdächten gebeutelte DDR-Psychiatrie zu rehabilitieren. Dabei können die Argumente gar nicht konservativ genug sein, obwohl das ganze „Projekt“ an sich Widerstandsprosa ist.

Diese krude Mischung fand sich dann auch auf dem 1. Internationalen Hochstaplerkongreß, der unlängst von Studenten im Kreuzberger Wasserturm veranstaltet wurde – und durchaus von Postels Arztkarriere inspiriert war. Gleich zwei Referenten – einer als MfS-Major, ein anderer als Zeitzer Dissident – beanspruchten, Drahtzieher der Wiedervereinigung gewesen zu sein. Wobei ersterer das Ergebnis umdeutete, um seinem Unterwanderungsziel treu zu bleiben, und letzterer das ursprüngliche Ziel einfach vom (jetzigen) Ergebnis her bestimmte: zwei beliebte Hochstapeleien. Um so mehr, als die Grundreferate des Kongresses zuvor bereits die Definitionspflökke dafür eingeschlagen hatten. Danach war der Hochstapler 1. ein Revolutionär, der durch Affirmation die herrschenden Charaktermasken entlarvt, 2. ein Reaktionär, der das Normen- und Regelwerk überbeherrscht und 3. ein Vorreiter jenes gesellschaftlichen Mainstreams, der die Dominanz des Scheins über das Sein besiegelt: ein Trendsetter also – und Postel bloß ein Vorbild für Ostler in Umschulung, die lernen, „sich besser zu verkaufen“.

Der Kongreß versuchte dabei mehr und mehr – mit Bar, Büffett und uniformierten Hostessen – eher formal denn inhaltlich dem Thema gerecht zu werden. Dazu gehörte die Überraschung, daß von den etwa 100 Gästen eine satte Mehrheit aus (nichtzahlenden) Medienvertretern bestand, die sich gegenseitig – als wackere „Men on the Event“ (MOE) – interviewten. Mich verblüfften all die Ex-taz-PraktikantInnen, die nun mit einem ganzen SFB-,ORB- oder Sat.1-Team angerückt waren – und überhaupt kein Verständnis dafür hatten, daß sie damit integraler Bestandteil der Hochstaplerinszenierung waren. Wie kann man nur so „professionell“ sein? Anders gesagt: Die „Professionalität“, das ist doch gerade das Einfallstor für Hochstapelei!

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