: Tod und Wohnungsnot
■ Doch was wirklich zählt, ist die Liebe: Das etwas zuckrige Musical „Rent“ gastiert im Deutschen Schauspielhaus
Es ist wieder soweit. Wie jeden Sommer schwappt die Musical-Welle zwecks Sommerloch-Stopfung in die Hamburger Theater. Den Anfang macht dieses Jahr das mit viel Vorschußlorbeeren bedachte Musical Rent. Es erzählt von einer Gruppe junger Leute im New Yorker East Village, die mit Drogensucht, Aids, Obdachlosigkeit und Armut zu kämpfen haben.
Damit das Gastspiel aus New York bis zum 11. Juli auch eine Menge zahlende Gäste anlockt, hat der deutsche Produzent Marek Lieberberg die Vermarktungsmaschine schon vor Monaten angeworfen. „Mehr Brecht als Broadway, mehr Weill als Webber“ lobhudelte Lieberberg und verbreitete in Pressekonferenzen und Plakaten die Erfolgsgeschichte von Rent: Zum „Bühnenereignis des Jahrzehnts“ deklarierte die New York Times den Publikumsrenner am Broadway, der 1996 mit dem Pulitzer-Preis für Drama und vier Tony Awards ausgezeichnet wurde – und, glaubt man den abgedruckten Pressestimmen, seit Anfang Juni auch höchst erfolgreich in der Originalinszenierung durch Deutschland tourt.
Jetzt also in Hamburg. Das Premierenpublikum war begeistert: nach jedem Song Applaus, zum Schluß Beifallspfiffe und stehende Ovationen. Auch die Kritikerin war durchaus gewillt, sich einen schönen Abend zu machen. Aber der gute Wille allein reicht eben nicht aus. Zu glatt rockt und schmalzt es über Liebe, Tod und Wohnungsnot. Die musicalgeschulten kräftigen Vibratostimmen lassen kaum Raum für persönlichen Ausdruck, ein Hauch von wirklichen Emotionen kommt allenfalls beim Beziehungsstreit eines lesbischen Pärchens auf. Gar nicht so übel hat Heinz Rudolf Kunze die Texte eingedeutscht, die trotzdem kaum zu verstehen sind, und ein paar hübsche Melodien sind zwischen bodenständigem Rock, verschnulztem Softpop und gelegentlichen Ausflügen in Tango- oder Salsa-Rhythmen schon zu entdecken. Auch ein veritabler Ohrwurm ist dabei. Er trägt den Bandwurmtitel „Fünfhundertfünf-undzwanzigtausendsechshundert Minuten“ und erzählt davon, wie man ein Jahr messen kann: in Sonne und Regen, Tagen, Stunden und Minuten. Doch was wirklich zählt, ist allein die Liebe.
Mit dieser Herzensbotschaft zuckert das in einem stilisierten Loft agierende Ensemble alle sozialen Themen zu. Angelehnt an die Handlung von Puccinis Oper La Bohème heißt das Motto des modernen Künstlers im Zeitalter von Aids: Lebe und liebe jetzt. Denn schon morgen kann es zu spät sein. Tragischerweise ist genau das dem Autor und Komponisten Jonathan Larson passiert. Gerade Mitte dreißig, starb er am Vorabend der New Yorker Premiere völlig unerwartet.
Karin Liebe
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