: Weltmeister im Pedaletreten
■ Zum dritten Mal will Marcel Thielbar mit seinem Team den Weltmeistertitel der Radkuriere holen. Die taz begleitet ihn auf seiner Fahrt durch die ganze Stadt
Vier Umschläge verschwinden in Marcel Thielbars Rucksack. „Extremely Urgent“ steht da drauf. Die Packzettel folgen. Dann saust er los: der zweifache Weltmeister der Fahrradkuriere. Zum ersten Kunden nach Schwachhausen.
Ganz weltmeisterlich tritt der 28jährige in die Pedale. Läßt jeden Hobbyradler im Fahrtwind stehen. Die taz-Reporterin kann trotz 14 Gängen nur müde hinterherhecheln. Denn im zweiten Leben, nach der Arbeit, ist Thielbar Radrennfahrer. „Das ist das beste Training“, sagt er. Damit holten er und sein Team aus Bremen 1998 in Washington und 1997 in Barcelona den Meistertitel.
„Schnelligkeit ist aber nicht alles“, sagt er: „Die Organisation ist das wichtigste. Das muß schnell gehen. So sind wir Weltmeister geworden.“ Jetzt wühlt er im Rucksack. Sucht. Sucht. Sein Rucksack, gesteht er, sei leider nicht der Ordentlichste. Bevor er beim Kunden klingelt, muß er sortiert haben. Nur nicht lange aufhalten.
Zeit ist schließlich Geld. Als Kurier sowieso. Und seit sich der Ex-Bio-Student mit Kompanion Michel Brinkmann vor drei Monaten selbstständig gemacht hat erst recht. Da hatte er schon fünf Jahre Radkurier hinter sich.
Der erste Kunde ist nicht da. Statt des dringend wichtigen Umschlags landet eine Benachrichtigungskarte im Kasten. Weiter geht es nach Findorff. Im Eiltempo. Die schönen Flecken des Bürgerparks rauschen links und rechts wie im Fluge vorbei. „Natur genießen geht auch, wenn man schnell fährt“, behauptet er. „Mehr jedenfalls als jeder Autofahrer.“
Mit Ach und Krach holpern wir über buckelpistige Radwege. Schlaglöcher. Bordsteinkanten. Zugeparkte Wege. Der Champion schimpft: „Schrott, alles Schrott.“ Warum nur, fragt er, können Radwege nicht einfach asphaltiert sein?
Aufträge Nummer zwei und drei werden ausgeliefert. Über Funk gibt es sieben neue Auslieferungen. Thielbar flitzt weiter. Von Müdigkeit keine Spur. Mit geschultem Blick registriert er Geschwindigkeit und Abstand der Autos. Wo Hobby-Pedalisten sofort auf die Bremse treten, flitzt Thielbar „mit Restschwung“ noch schnell zwischen herannahenden Blechkisten durch auf die andere Straßenseite. Fünfzehn Autos kann er nicht abwarten. „Geschwindigkeit und Sicherheit ist aber kein Widerspruch“, erklärt er. Immerhin: Fünf Jahre ist er inzwischen unfallfrei Kurier gefahren.
Ein Autofahrer hält quer über den Radweg. Thielbar weicht aus. Kein böser Blick, keine Anschuldingungen. „Hauptsache, ich komme durch.“ Für Auseinandersetzungen, Anzeigen gar hat er keine Zeit. Erst als er wieder Speed drauf hat, klagt er das Leid der Radkuriere. Von Autofahrern, die hupen und drängeln. Fußgängern, die auch manchmal schimpfen. Und dann ist da noch die Straßenverkehrsordnung. Deren Regeln Thielbar häufig grob schwachsinnig empfindet. Für Eilige besonders. Trotzdem: „Das ist mein Traumjob“, sagt er.
Thielbar fährt Rennrad. Es ist allerschönstes Strahlewetter. Sein Mountainbike (mit Schutzblechen) ist für schlechte Tage reserviert: „für Regen, Graupel, Schnee“. Die Gangschaltung benutzt er kaum. Immer schwerer Gang. Immer voll Power. Zu Hause hat der Profi noch ein zweites Rennrad: für Wettrennen. Und dann gibts da noch ein Hollandrad. „Das ist fürs Viertel“, sagt Thielbar. Für die ganz kurzen Strecken in die Kneipe, „lange sitzen könnte ich darauf nicht“.
Thielbar liebt es, an Staus vorbeizufahren. „Dann weiß ich, ich mache das Richtige.“ Ein Bürojob wäre nichts: „Ich brauche einfach den Thrill auf der Straße, den Kampf mit der Zeit.“ Ein Cowboy also? Der letzte Held der Großstadt vielleicht? Ach. „Viel zu pathetisch“. Thielbar winkt ab. Trotzdem ist er stolz, wenn Fließbänder still stehen, LKW warten, bis er mit seinem Fahrrad angeschnurrt kommt.
In knapp einem Monat findet in Zürich die nächste Weltmeisterschaft statt. Radfan Thielbar hofft auf einen dritten Titel. „Dreimal ist Bremer Recht.“ Dann hat Bürgermeister Scherf ihm und seiner Mannschaft einen Empfang im Rathaus versprochen. Probeläufe gibt es täglich bei der Arbeit. „Das ist das beste Training.“
Der Zürcher Parcour hängt schon im Büro, Thielbar lernt ihn gerade auswendig. Denn innerhalb von Minuten muß er entscheiden können, in welcher Reihenfolge er welchen Weg einschlägt. Zürich ist ein kniffeliges Terrain: „Lauter Einbahnstraßen und Treppen“, weiß Thielbar. Da ist man den Amis im Vorteil, „die sind nur Schachbrettanlagen gewöhnt.“ „Ein Fahrradkurier aus Toronto hat uns mal besucht. Der hat sich im Viertel total verfahren.“ Die schwersten Gegner kommen für ihn aus Kopenhagen, sagt er.
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