piwik no script img

Wodka und Schnee

■ Statt Sonne und Wein: Die Slawia im 20. Jahrhundert und ihre Gedanken zur Sprache

Während die neue deutsche Literatur vor kurzem in Klagenfurt versuchte, sich Klarheit über ihre Weltbedeutung zu verschaffen, scheint in Berlin die Entscheidung gefallen zu sein: Polnisch ist die Sprache der Zukunft! In ihr liege, so sagt der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk, die Erotik, die Intuition, in ihr wallen die Emotionen. „Haben Sie Goethe in seinem Werk schon mal lamentieren gehört?“ fragt er ins Publikum.

„Oder behaupten Sie etwa, daß man im Deutschen ebenso gut meckern kann wie im Polnischen?“ Da fallen einem doch sofort die polnischen Bauarbeiter ein! Denen geht zwanzigmal am Tag das Wort „kurva“, was eigentlich „Nutte“ heißt, sorglos über die Lippen. Und man denkt: Stimmt, schimpfen können sie, die Polen.

So richtig schimpfen aber möchte man nicht im Verlauf der Reihe „Europa erzählt – Die Slawia im 20. Jahrhundert“ in der Literaturwerkstatt Pankow. Hier geht es eher um Sprache als Nationen und Identitäten stiftendes Element, und hier trafen sich am Dienstag die jungen osteuropäischen Wilden zum Gedankenaustausch. Andrzej Stasiuk, geboren 1960 in Warschau, und der gleichaltrige Ukrainer Jurij Andruchowycz stritten darüber, welche ihrer beiden Sprachen wohl die „gefühlvollere“ sei: die polnische aufgrund ihrer Vieldeutigkeit oder die ukrainische, weil sich bei ihr allmählich das Bewußtsein durchsetzt, nach jahrelanger Unterdrükkung des sowjetischen Imperiums endlich frei zu sein.

„Was für eine Last, ein deutscher Schriftsteller zu sein“, erläuterte Stasiuk daraufhin, „eintausend Jahre Tradition liegen und mehrere Millionen Leser stehen hinter mir.“ Da im Deutschen, Französischen und Englischen bereits soviel gesagt worden sei, teilte er mit, lasse es sich leichter und gelöster im Polnischen schreiben. Zynisch verweist Stasiuk damit auf die polnische Vergangenheit, in der die polnische Sprache durch preußische, französische und russische Okkupation trockengelegt wurde: Sie verlor sich in der Emigration und im Verlust der eigenen Nation.

Für den ehemaligen Holzfäller Stasiuk wird die Sprache nun zum Material und zum Medium einer neuen, nationalen Literatur. Sein Buch „Der weiße Rabe“, 1998 im Rowohlt Verlag Berlin erschienen, ist eine polnische Mischung aus der Aggressivität eines Kerouacs und der Melancholie Tarkowskis. Eine Art „road novel“, so hochprozentig sprachtrunken, daß einem die Kehle verbrennt: Die gescheiterte polnische Generation verliert sich nach der Euphorie über den sozialistischen Zerfall in der Leere. Wild, poetisch und obszön beschreibt Stasiuk seine Helden, die verzweifelt auf Sinnsuche sind und sich dem Rausch hingeben. Stasiuk wird seit diesem Buch als der neue James Dean Polens gefeiert. Er ist ein Bohemien, der aus einer Hütte in einem Bergdorf in den Beskiden heraus der polnischen Jugend eine neue Sprache gibt.

So unkonventionell und maßlos er schreibt, so kokett, sonnengebräunt und breitschultrig sitzt er auf dem Podium. Trinkt Bier, raucht Gauloises ohne Filter und verkörpert den haltlosen Naturburschen mit einer extremen Sehnsucht nach Leben. Doch im Gegensatz zu James Dean sagt er nicht „I love you“, sondern „Kocham cie“. In der Sprache liegt die Erotik. Aber in welcher?

Katja Hübner

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen