: Ausnahmen für Großkonzerne
■ Die Regierung empfiehlt Verschlüsselung für alle, aber das Wirtschaftsministerium arbeitet fleißig weiter an einer Verordnung zur totalen Überwachung des Internets
Die eine Hand weiß nicht, was die andere tut. Die Bundesregierung will den Einsatz starker Verschlüsselungstechniken für das Internet nicht nur freigeben, sie will sie zum Wohl der Wirtschaft und zur Abwehr von Wirtschaftsspionage sogar fördern. Gleichzeitig aber sollen sämtliche Internet-Provider verpflichtet werden, in ihren Anlagen auf eigene Kosten Schnittstellen einzurichten, damit die Sicherheitsbehörden ihren Dateverkehr jederzeit überwachen können.
Die eine Hand, das ist das Bonner Kabinett. Per Beschluß versicherte die Ressortrunde Anfang Juni, daß „in Deutschland auch künftig Verschlüsselungsverfahren und –produkte ohne Restriktionen entwickelt, hergestellt, vermarktet und genutzt werden dürfen“. Die Schlapphüte gingen leer aus. Die andere Seite, das sind die Beamten im Bundeswirtschaftsministerium. Sie halten in einem „Eckpunkte“-Papier zur „Notwendigkeit der Überwachung“ fest, daß „die Überwachung der Telekommunikation aus Gründen der Verbrechensbekämpfung und der inneren Sicherheit weiterhin ein unverzichtbares Hilfsmittel der Ermittlungsbehörden ist“.
Als Zip-Archiv ist der Text unter www.dud.de abrufbar. Die Folge neuer rot-grüner Politik, sollte es bei den bisherigen Plänen bleiben: Mit einem Milliardenaufwand wird den Staatsanwälten, Polizisten und Geheimdienstlern die Kommunikation in den Netzen zugänglich gemacht. Die dürfen dann feststellen, daß die Nutzer der Aufforderung der Bundesregierung gefolgt sind und weitgehend einbruchssichere Verschlüsselungstechniken benutzt haben.
Nun ist die Vorlage aus dem Hause des parteilosen Wirtschaftsministers Werner Müller, die im April verfaßt wurde, noch kein Kabinettsbeschluß. Heiße Luft ist sie aber auch nicht. Denn Müllers Referenten stützen sich schlicht auf die geltende Rechtslage. Sie verweisen auf die Vorschriften der Strafprozeßordnung, des Außenwirtschaftsrechts und die Bestimmungen zur Einschränkung des Brief- und Postgeheimnisses, nach denen die Geheimdienste bisher schon Briefe, Telefone und Faxgeräte überwachen dürfen. Der Gesetzgeber, heißt es in dem Papier lapidar, habe bei der „grundsätzlichen Verpflichtung, die Überwachung und Aufzeichnung von Telekommunikation zu ermöglichen, keine Ausnahmen vorgesehen“.
Diese scharfsinnige Beobachtung, sollte man meinen, müßte Folgen haben für die Freigabe der Kryptographie und den Sicherheitsbehörden wenigstens die Hintertüre öffnen. Ebendamit hatte die abgewählte Regierung argumentiert, deren Innenminister Kanther sich stets für eine restriktive Kryptopolitik eingesetzt hatte.
Auch den Mitgliedern des Kabinetts war der Zielkonflikt zwischen wirtschaftlichen Interessen und den behaupteten Bedürfnissen der Strafverfolger wohl bewußt. In dem Grundsatzpapier „Eckpunkte der deutschen Kryptopolitik“ (www.bmwi.de/presse/1999/0602prm1.html) wurde immerhin ein Passus aufgenommen, der auf die gesetzlichen Befugnisse der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden“ eingeht. Lakonisch formuliert er, daß durch den Einsatz von Verschlüsselungsverfahren die Überwachung der Telekommunikation „nicht ausgehöhlt“ werden dürfe.
Das mag man wünschen, funktionieren wird es aber nicht. Der diametrale Gegensatz wurde im Kabinettsbeschluß kaschiert und geschickt hinter dem „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ versteckt. Der Mißbrauch der Verschlüsselung, heißt es, sei zur Zeit kein Problem. Zwei Jahre will die Regierung den Einsatz von Kryptotechnik beobachten, dann sollen die zuständigen Ministerien einen Bericht vorlegen. Handlungsbedarf entstehe erst, wenn der Bericht eine umfangreiche mißbräuchliche Nutzung der Verschlüsselung ergebe.
Nur: Wie mag der Mißbrauch festzustellen sein, wenn die Kommunikation für die Sicherheitsbehörden nicht zu entschlüsseln ist? Den Providern nutzen die Aussagen des Kabinetts deshalb herzlich wenig, Ihnen droht noch immer die Überwachungspflicht, die auch im Verordnungsentwurf aus dem Wirtschaftsministerium enthalten ist. Die Neufassung war in Auftrag gegeben worden, nachdem Wirtschaftsminister Rexrodt den Entwurf einer „Telekommunikationsüberwachungs-Verordnung“ (TKÜV) hatte zurückziehen müssen. Ein Sturm der Entrüstung war losgebrochen, weil das Papier sämtliche Diensteanbieter auf eine weitreichende Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden verpflichten wollte. Bürgerrechtler und Netzaktivisten kritisierten vor allem, daß die Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen gegen ihren Willen zum verlängerten Arm der Strafverfolgungsbehörden gemacht würden. Die Wirtschaftsverbände dagegen schossen sich in erster Linie auf die Kosten ein. Mit vierzig Milliarden Mark bezifferten die Lobbyisten die Investitionssumme, die Provider aufzubringen hätten – wohl kaum einer der kleineren Anbieter hätte die TKÜV wirtschaftlich überlebt.
Rexrodt versprach Besserung, doch davon kann nach dem Regierungswechsel keine Rede mehr sein. Die neue Fassung des Papiers hält an der Notwendigkeit der Überwachung weiterhin fest, und auch bei der Finazierung sehen die Beamten keinen Spielraum: „Forderungen nach einer Regelung der Kostenfrage in der Weise, daß die Unternehmen die Kosten für die technische Einrichtung nicht zu tragen hätten, die für die Umsetzung von angeordneten Überwachungsmaßnahmen erforderlich sind, können nicht aufgegriffen werden.“
Nur ein Zugeständnis macht der neue Entwurf: Der Kreis derjenigen, die verpflichtet werden sollen, die technischen Überwachungsmöglichkeiten „vorzuhalten“, wird näher definiert und in mehrere Gruppen unterteilt. Zur ersten gehören die „Betreiber von Telekommunikationsanlagen, mit denen Telekommunikationsdienstleistungen für die Öffentlichkeit erbracht werden“. Für diese „Fallgruppe“ – und unter sie dürfte der überwiegende Teil der Netzbetreiber fallen – ändert sich nach den neuen Überlegungen absolut gar nichts. Sie werden wie im zurückgezogenen Entwurf via Einzelgenehmigung darauf verpflichtet, die „Übermittlung der zu überwachenden Telekommunikation an die berechtigten Stellen über geeignete Telekommunikationsnetze“ sicherzustellen – mit allem nötigen Aufwand und allen Kosten.
Zur zweiten Gruppe gehören die gewerblichen Betreiber nichtöffentlicher Netze, etwa konzerninterner Intranets. Für sie wird der Überwachungszwang ein wenig gemildert. „Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit“ müssen sie „keine permanenten technischen Vorkehrungen“ treffen. Ein „Herausfiltern der überwachenden Kommunikation und Aufzeichnung der Telekommunikation durch die berechtigte Stelle am Ort der Telekommunikationsanlage“ genügt – bei Bedarf schickt der Staatsanwalt oder der Geheimdienst seinen Mitarbeiter vorbei.
Auch die dritte Kategorie, die Betreiber von Nebenstellenanlagen, die damit „geschäftsmäßige Telekommunikationsdienste“ erbringen (etwa Hotels, Krankenhäuser oder Wohnheime), können nur im Einzelfall zur Installation von Überwachungsmöglichkeiten verpflichtet werden. Das neue Eckpunkte-Papier dürfte damit ein ähnliches Schicksal erleiden wie der TKÜV-Entwurf aus dem vergangenen Jahr. Absolut nichts spricht dafür, daß die Industrie der neuen Regierung ausgerechnet in diesem Punkt freundlicher gesinnt ist. Hinzu kommt nun noch, daß mit dem Kabinettsbeschluß zur Kryptopolitik die Notwendigkeit der Überwachung kaum noch zu rechtfertigen ist. Wenn jede Verschlüsselung erlaubt ist, hilft der Verweis auf die geltende Rechtslage auch nicht weiter.
Wolfgang Gast
„Aus Gründen der inneren Sicherheit weiterhin ein unverzichtbares Hilfsmittel der Ermittlungsbehörden“
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