: Und ewig lächelt der Buchhändler
Roger Michells romantischer Komödie „Notting Hill“ geht auf halber Strecke die Puste aus. Schuld ist Hugh Grant. Der lächelt gnadenlos sogar die schöne Julia Roberts in Grund und Boden. Zuviel Charme ist eben auch nicht das Wahre ■ Von Niklaus Hablützel
Keiner ist auch in diesem Sommer ein netterer Kinojunge als Hugh Grant. Er verkauft Bücher im Londoner Stadtteil Notting Hill, zur Jahreszeit passend Reisebücher, obwohl er dafür wenig Talent und gar keine Leidenschaft besitzt. Notting Hill ist seine ideale Heimat, sagt er einmal aus dem Off, und man glaubt es ihm sofort. Ein Stadtteil der kleinen Leute, mit malerischen Statisten, die draußen ein Kinoleben aufführen, das schlicht, aber bunt zu sein hat. Warum sollten sie verreisen? Jeder andere als Hugh Grant wäre schon lange pleite, und wir wären in einem ganz anderen Film.
Aber „Notting Hill“ ist ein Film mit Hugh Grant. Schwer zu sagen, warum ihn Produzent Duncan Kenworthy, Drehbuchautor Richard Curtis und Regisseur Roger Michell ausgerechnet zu einem Buchhändler gemacht haben. Diese Augen, die jedes Unglück in ein ganzes Himmelreich stiller Verheißungen verwandeln: Sie übersteigen jedes für Buchhändler vorstellbare Maß.
Ein hochbegabter Schauspieler ist Hugh Grant zweifellos, schade nur, daß sich auch der Regisseur seinem Charme keine Sekunde lang entziehen konnte. Sein Film umsorgt ihn wie eine glückliche Mutter.
Natürlich darf er mit den anderen da draußen spielen, er darf sich sogar die Kleider ein wenig schmutzig machen. Jungs sind eben so, und es ist einfach entzükkend, ihm zuzuschauen. Artig schlägt er sich durchs Leben, das es ihm keineswegs leicht macht. Er ist einer von uns, kein verwöhnter Schnösel.
Daß es meistens so ist, das Leben, ist ein guter Grund, sich „Notting Hill“ anzusehen. Der Film gehört zur Gattung der romantischen Komödie und gibt daher Gelegenheit, im Kino ein bißchen die Zeit zu vergessen und zu träumen von einem Leben, das nicht anders ist, nur netter – und sentimentaler. Kaum glaublich zwar, daß dieser Buchhändler eine gescheiterte Ehe hinter sich hat – welche Frau verläßt schon freiwillig Hugh Grant? Notwendig ist es für diesen Film dennoch. Der Verleih preist ihn als die Sommerkomödie des Jahres an, da darf es auf keinen Fall ein Eifersuchtsdrama geben.
Also in die Startposition des Junggesellen gebracht, ereilt den Buchhändler das Schicksal, das sich Richard Curtis ausgedacht hat. Julia Roberts betritt den Laden, die Augen hinter einer Sonnenbrille verborgen, aber unverkennbar auch in Notting Hill genau das, was sie zu spielen hat: der Star, die in aller Welt gefeierte Filmschauspielerin, die hier Anna Scott heißt. Der Plot, versichert Curtis, sei ihm bei den Dreharbeiten zu seinem letzten Welterfolg „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ eingefallen: „Wie würden wohl meine Freunde reagieren“, fragte sich der Drehbuchautor nachts im Bett, „wenn ich die gerade berühmteste Person der Welt zum Essen mitbrächte?“
Ein reizvoller Gedanke. Ohne weiteres ließen sich daraus ein halbes Dutzend Alltagsmärchen stricken. In einer langen Szene, einer der besten, spielt der Film sie in einer sozialrealistischen Variante durch. Die Schwester des Buchhändlers feiert Geburtstag, das Abendessen in der ärmlichen Mietwohnung wird zu einer kleinen Ausstellung überaus lebenstüchtiger, wenn auch sonst wenig erfolgreicher Figuren aus dem kleinbürgerlichen Familienalbum.
Julia Roberts sitzt mitten drin am Tisch, ein Fabelwesen, das plötzlich doch gar nicht soviel anders ist als sie alle, die es zuerst gar nicht glauben können und dann schier aus der Haut fahren möchten, wenn sie sich nur trauten. Das ist schön fotografiert und annehmbar gespielt,reicht nur nicht für die übrigen zwei Stunden des Films. Sogar diese wunderbare Familie perlt an Hugh Grants Lächeln ab, als sei auch sie nur dazu da, ihn ganz furchtbar nett zu finden.
Es kommt, wie es muß. Ein Mißgeschick von Hugh Grant, ein erster keuscher Kuß, ein Abschied, weil es ja nicht sein kann, eine Rückkehr, weil es ja doch sein muß, ein Zerwürfnis und dann endlich eine Hochzeit. Am Ende sitzt das Ehepaar Grant und Roberts auf einer Parkbank, sie hat ein Kind im Bauch, und er liest ein Buch.
Eineinhalb Jahre hat es gedauert, bis es soweit war, die Jahreszeiten haben gewechselt, die Paparazzi haben Julia Roberts sogar in Notting Hill aufgespürt, nur im Leben des Buchhändlers hat sich nichts bewegt. In seinem Gesicht auch nicht. Auf eine beinahe schon beängstigende Weise bleibt Hugh Grant einfach nur Hugh Grant. Mag sein, daß es wirklich solche Männer gibt, das Märchen jedoch, das dieser Film erzählen möchte, geht an ihnen erbärmlich zugrunde. Es fehlt ihnen an der nötigen Phantasie und am Charakter, und so beginnt dem Film, trotz manch hübscher Dialoge, ganz allmählich der Stoff auszugehen.
Julia Roberts freilich hält tapfer durch in ihrer schwierigen, selbstreflexiven Rolle. Sie ist keine im gewöhnlichen Sinne schöne Frau, harte Arbeit steckt hinter ihrem Glanz, den sie hier ablegen muß, weil sie für einmal ein ganz gewöhnliches Mädchen sein soll. So nett wie Hugh Grant. In Wirklichkeit ist sie so viel mehr, sie läßt es spüren und ahnen, zu welcher Größe sie wachsen könnte. Aber was sollte dann Hugh Grant sagen? Der Höhepunkt seiner Liebesglut scheint darin zu bestehen, ihr beim Probieren der nächsten Filmrolle zu helfen und abends die Zeitung zu lesen, wenn sie sich in das Sofa im Wohnzimmer kuschelt. Sie ist es, die dann doch noch die erste Nacht herbeiführt, und man kann sich vorstellen, wie viel Arbeit auch das schon wieder gekostet hat.
Immerhin versteht man danach schließlich doch, warum dieser Buchhändler immer noch Junggeselle war, bevor Julia Roberts kam. Und je mehr sie sich um ihn bemüht, ahnen läßt, warum eine solche Liebe über die Standesschranken hinweg ein schmerzliches, und nur deswegen auch komisches Schicksal ist, um so mehr wünscht man sich einen anderen Partner für diese Schauspielerin, die eine Schauspielerin spielt.
Es gibt ihn in diesem Film, er heißt Rhys Ifans und darf ruhig als Entdeckung dieses Sommers betrachtet werden. Zumindest rettet er die leerlaufende Romanze über ihre Überlängen hinweg. Er spielt den Wohngenossen des Buchhändlers, der im Drehbuch ein ewig ungewaschener, sexbesessener Blödmann ist. Ifans macht einen wirklich komischen Narren aus dieser Figur, die haushoch über den Langweiler Grant hinauswächst.
Ifans ist ein Berserker des schlechten Geschmacks, obszön und bauernschlau zugleich. Darum versteht er so wenig wie sonst jemand, warum dieser dämliche Buhhändler nicht einfach scharf ist auf diese Superbraut, die ihnen da ins Haus geschneit ist. „Soll ich sie mal ...“, fragt er in einer Schlüsselszene, die damit zum unfreiwilligen Höhepunkt des Films wird, und man wünscht, daß genau das der Plot gewesen wäre. Julia Roberts mit diesem begnadeten Komiker, Titania mit dem Esel: Ein wahrer Sommernachtstraum der Schauspielkunst hätte das werden können. Aber das war nicht der Plot, es mußte unbedingt ein Film mit Hugh Grant sein.
„Notting Hill“. Regie: Roger Michell. Mit Hugh Grant, Julia Roberts, Rhys Ifans u. a. GB 1999, 120 Min.
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