: Kinderhandel im Urlaubsparadies
■ Auf den Azoren verkaufen arme Familien ihren Nachwuchs zu Dumpingpreisen
Madrid (taz) – Auf der Azoreninsel Terceira wird seit Jahren systematisch Kinderhandel betrieben, und alle schauen weg. „Ein gut gehütetes Geheimnis“, titelte die portugiesische Tageszeitung O Publico, nachdem eine Fernsehreportage zum Thema ausgestrahlt wurde. Der Preis für ein Neugeborenes liegt bei rund 10.000 Mark. Oft verlangen arme Familien nicht einmal diesen Betrag. Sie geben sich mit Lebensmitteln, Kleidung oder der Begleichung eines Mietrückstandes zufrieden.
„Das ist ein nicht zu tolerierender Menschenhandel“, beschwert sich der Obmann für Bürgerrechte in Lissabon, Meneres Pimentel, nach der Sendung. Mehrere Mütter gestehen darin offen ein, daß sie ihre Kinder weggegeben haben. Eine der Interviewten verkaufte fünf ihrer sechs Kinder an reiche einheimische Familien, eine andere händigte mehrere Söhne „im Tausch für Kleidung und Lebensmittel“ an einen amerikanischen Piloten aus, der sie dann weitervermittelte. „Ein uns wohlbekannter Vorgang“, bestätigt die Direktorin des Kreißsaales im Krankenhaus der Inselhauptstadt Angra. Die Neugeborenen würden von „madrinhas“ – spezialisierten Frauen – vermittelt. Während die Gesundheitsbehörde ermittelt, inwieweit die Krankenhausbelegschaft ins Geschäft verwickelt ist, sieht die Staatsanwaltschaft keinen Handlungsbedarf.
Das portugiesische Strafgesetzbuch kennt Menschenhandel nur im Zusammenhang mit Prostitution. Eltern und Käufer nutzen dieses Rechtsvakuum. Sobald der Handel zustande gekommen ist, gehen die „neuen Eltern“ auf die Gemeindeverwaltung und lassen das Kind als ihr eigenes ins Geburtsregister eintragen. Auch hierbei gibt es keine Probleme, da die Behörden nur den Ausweis der vermeintlichen Eltern, aber keinen Geburtsschein sehen wollen.
„Es gilt, die Mauer des Schweigens zu brechen“, fordert Obmann Pimentel die Menschen auf Terceira auf, Fälle ungewöhnlichen Kindersegens anzuzeigen. Außerdem verlangt er eine Änderung des Registrierungsvorgangs von Neugeborenen. Reiner Wandler
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