piwik no script img

Brief an Rau

Gut ist ein Präsident, der gütig, väterlich und überlegen lächelt. Er sieht das Land mit den Augen eines Großvaters. Besser ist ein Präsident, der weiß, daß er das Gewissen des Landes zu sein hat, allerdings ohne sich in die Tagespolitik einzumischen. Aber noch besser ist ein Präsident, der zu integrieren weiß und sich deswegen um die verirrten Schafe und um die Ausländer kümmert. Es kann sogar sein, daß er gute Worte für die Schwulen und Illegalen findet. Am besten allerdings ist ein Präsident, der mit mächtiger, klarer Stimme Volkslieder zu singen weiß. Guillermo Aparacio ist Spanier und lebt als Schriftsteller in Stuttgart

Ein guter Bundespräsident sollte, um bei der Ausländerbehörde nicht zuviel Zeit zu verlieren, gleich die Aufenthaltsberechtigung beantragen. Dies setzt voraus, daß er in Wort und Schrift des Deutschen mächtig ist. Bei einer Fußballweltmeisterschaft sollte er alle Staatschefs der Welt erblassen lassen, wenn er die Nationalhymnen aller Ausländer singen kann, die in seinem Land leben. Da Integration durch den Magen geht, muß er täglich Kebab, eine Frühlingsrolle, ein Sushi, einen Gyros, einmal Borschtsch und einmal Currywurst mit Pommes essen. Emine Demirbüken ist Deutschtürkin und Ausländerbeauftragte in Berlin-Schöneberg

Vor der Jahrtausendwende stehen wir vor einem Haufen großer Probleme: Menschen ohne Arbeit, Kinder ohne Eltern, Frauen ohne Familie, Flüchtlinge ohne Bleiberecht, Kranke ohne Hoffnung auf Heilung. Die Politik ist hierbei hilflos. Der Präsident ist ein Symbol unserer Hilflosigkeit, unserer Verwirrung angesichts der Zukunft. Seine Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, die unser Leben ändern können, ist begrenzt. Wladimir Kaminer ist Russe und lebt als Schriftsteller in Berlin

Der Präsident ist weise und mutig. Er führt den guten Zeitgeist an und achtet darauf, daß die oben nicht zu hoch fliegen und die unten nicht zu tief fallen, daß Tote Denkmäler und Lebende das Leben erhalten. Er ist der erste und der letzte, geerdet und verwurzelt in Tiefen der Vergangenheit und Höhen der Zukunft. Er weiß, daß Erdbeben und Vulkane immer möglich, daß dünn die Erdkruste und menschliche Haut ist und heiß die Lava und das Blut. Deshalb schützt er sie und achtet darauf, daß das Brot aus Erde und Meer gerecht verteilt wird. Der arme Mensch, ganz grau wird er davon ... Bosiljka Schedlich ist Berlinerin aus Dalmatien und Leiterin des Südost- Europa-Instituts in Berlin

Johannes Rau ist ein großer Freund Israels und dies seit Jahrzehnten. Diese Freundschaft und seine Stellung als Präsident soll er nutzen, um auch den Rechten der Palästinenser im Friedensprozeß Geltung zu verschaffen. Mein Ratschlag: Den Argumenten der Araber ein offens Ohr bieten. Rafik Schami ist Syrer und lebt als Schriftsteller in Frankfurt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen