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Ort für Orgien

■ Richard Foremans Ontological Hysteric Theatre kurbelt sich durch das Hotel Fuck

Schon als das „Theater der Welt“ seinen Spielplan erstmals veröffentlichte, jagte diese Ankündigung den Theater- und Performance-Passionierten Wort für Wort wollüstige Schauer der Erwartung über den Rücken. Denn Foreman, eine Ikone des amerikanischen Avantgarde-Theaters der 70er und 80er Jahre, war in Deutschland seit langem nicht zu sehen. 1968 gründete der Stückeschreiber und Regisseur in der New Yorker Wooster Street ein Theater, dessen Name ein noch immer schillerndes Programm vorgibt: eine Mischung aus ironischem Akademismus und dionysischer Behauptung, die den Prozeß der Bewußtseinsbildung auf der Bühne zu spiegeln versucht. Nun all dies unter dem saftigen Titel „Hotel Fuck“ – naturgemäß waren sämtliche Vorstellungen an der Schaubühne bereits vor Beginn des Festivals ausverkauft.

Erwartungen sind immer dann besonders schön, wenn ihre Erfüllung noch zur Disposition steht. Diesen quasi präkoitalen Zustand teilte das Publikum vorab mit den Gästen des spektakulösen Hotels, und analog zum Theaterstück verwandelte er sich in einen – keineswegs lustlosen – Prozeß der Enttäuschung. Der beginnt mit dem ersten Blick auf Foremans Bühne, eine zugemöbelten Jahrmarktsbude voller alter Schreine, Gemäde, Lampen, Putten und einem ausgestopften Gorilla, der kopfüber von der Decke baumelt. Schnüre, Säulchen und Schriftzeichen durchmustern diese überquellende Sakristei, die kein Ort für Orgien ist, sondern Abenteuerkammer für schatzsuchende Kinder, in der das F-Wort noch libidinös funkelt, das Licht blinzelt und die Reliquien „pling“ quieken oder „rinring“ schnarren. Darin erzählt „Hotel Fuck“ ein groteskes Wunderland-Märchen, in dem Handlungen einer eigenen Nonsenslogik folgen und Figuren nicht mimetisch, sondern zeichenhaft funktionieren.

Natürlich steht das Hotel für eine Phantasmagorie vom Paradies – und zwar eine ausgesprochen neurotisierende. Erst verpaßt die Reisegruppe um Tony Turbo und Julia Jacobson fast den Bus dorthin, dann argwöhnt sie, im falschen Hotel gelandet zu sein, verkracht sich mit den potentiellen Penetrationspartnern und kommt einfach so lange nicht zu Potte, bis sie erschöpft kapituliert: „No more fucking!“ Der durchweg bebrillte Stoßtrupp tanzt, tobt und kurbelt sich gleichmäßig durch Übersprungs- und Ersatzgesten, bis die Finger wieder am eigenen Körper rubbeln: Foreman hat uns im zeitlosen Hotel of ritual Masturbation installiert, wo es ziemlich öde zugeht.

Und was passiert im Publikum? Wird es zurückgeworfen auf verschüttete Bewußtseinsschichten, als seine nackte und bloße Existenz als Trieb-, Traum-, Wunsch- und Spielwesen, oder einfach auf die psychedelischen siebziger Jahre? Vor allem, weil es so wenig lacht, möchte man den Meister selbst zitieren, der auf Proben häufig zu sagen pflegt: „No – cut that, that acutes no good, that acutes too arty!“ Eva Behrendt

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