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„Nur noch weg aus Berlin“

Kosovo-Albaner, die schon seit Jahren als Flüchtlinge in der Stadt leben, wollen nach dem Ende des Krieges so schnell wie möglich in ihre Heimat zurückkehren. Doch koordinierte Rückreisen, wie es die Ausländerbeauftragte will, stecken noch in den Kinderschuhen  ■   Von Julia Naumann

Als Xheladin Ajeti aus der Beratung bei der Ausländerbeauftragten zurückkommt, ist seine Anspannung wie weggeblasen. Der 43jährige strahlt über das ganze Gesicht. In der Hand hält er seinen jugoslawischen Paß und einen Zettel, daß er sich wegen seiner gewünschten Ausreise bei der Ausländerbehörde melden soll. „Ich kann bald nach Hause“, sagt er, und seine Augen blitzen vor Freude. „Dann schmeiße ich diesen Paß endlich weg.“

Seitdem die KFOR in das Kosovo einmarschiert ist, will Ajeti nur noch weg aus Berlin. In seine Heimatstadt, nach Priština. Zu seiner Frau und seinen vier Kindern, die er fast sechs Jahre nicht mehr gesehen hat. Der ehemalige Mitarbeiter des kosovarischen Roten Kreuzes lebt seit 1994 in Berlin. Geflüchtet ist er, weil die serbische Polizei ihn eines Tages bei der Arbeit bedroht hatte. „Nach Ansicht der Serben haben wir zu vielen Albanern mit Kleidung und Lebensmitteln geholfen“, läßt er übersetzen. Mehr will er nicht sagen. In Todesangst mußte sich Ajeti einige Wochen in Priština verstecken und flüchtete schließlich nach Deutschland, sagt der Dolmetscher. Er spricht trotz des langen Aufenthaltes kaum deutsch.

Kein Wunder, Ajeti wohnte sechs Jahre in mehreren Flüchtlingsheimen in der Stadt, hatte aber kaum Kontakt mit Deutschen. Denn sechs Jahre lang durfte der Kosovare nicht arbeiten, durfte Berlin nicht verlassen. Seine Duldung wurde halbjährlich verlängert. Ajeti bekommt seine Sozialhilfe in Form von Wertgutscheinen für Supermärkte ausgezahlt und in den letzten Monaten nur noch 15 Mark Taschengeld in bar. 65 Mark wurden ihm gestrichen, weil das Sozialamt ihm unterstellte, er sei lediglich nach Deutschland eingereist, um Sozialhilfe zu beziehen. Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz kann das sonst übliche Taschengeld von 80 Mark dann gekürzt werden.

Doch Sozialhilfe wollte Ajeti eigentlich nie. „Ich wollte immer zurück, aber dann wäre ich ermordet worden“, sagt er mir ruhiger Stimme. Während der Bombardements der Nato flüchtete seine Familie in Wälder nahe Priština, seine Wohnung wurde, so erzählt er, in dieser Zeit von Serben zerstört. Frau und Kinder sind jetzt beim Bruder untergekommen. „Ich werde versuchen, eine Wohnung zu finden“, sagt Aleji zuversichtlich. „Irgendwie wird das schon klappen.“

Ajeti ist nicht der einzige, der jetzt schnell nach Hause will. Seit dem Einmarsch der KFOR wollen „sehr viele“ aus seinem Wohnheim in Treptow zurück, erzählt er. „Wir fühlen uns jetzt sicher.“ In Berlin leben derzeit – außer den 330 Kontigentflüchtlingen, die vor drei Monaten kamen – rund 10.000 Kosovo-Flüchtlinge, viele von ihnen schon seit mehreren Jahren. Die meisten von ihnen werden geduldet, andere haben auch Asyl beantragt. Doch die Aussicht auf einen sicheren Aufenthalt ist gering. Im Berlin gibt es bisher nur 140 anerkannte Asylbewerber aus Jugoslawien. Und die Bürokratie ist schleppend: Asylneuanträge bleiben derzeit wegen ungeklärten politischen Lage lange bei den Gerichten liegen.

Für freiwillige Rückkehrer wie Xheladin Ajeti und Flüchtlinge, die erst mal nur Orientierungsreisen in das Kosovo machen wollen, hat die Ausländerbeauftragte des Senats, Barbara John (CDU), jetzt spezielle Beratungstermine in ihrem Büro eingericht. Doch koordinierte Rückreisen stecken noch in den Kinderschuhen: Geplant ist, daß die Flüchtlinge zur Ausländerbehörde gehen und auch ausreisen können, auch wenn sie nicht mehr in Besitz eines jugoslawischen Passes sind. Das hofft John jedenfalls. „Wir können ihnen den Gang zur jugoslawischen Botschaft derzeit nicht zumuten“, sagt sie. Die Reise soll dann entweder über Italien mit dem Schiff nach Albanien oder mit dem Flugzeug nach Makedonien und dann auf eigene Faust in das Kosovo verlaufen. Zahlen über tatsächlich ausgereiste Kosovo-Albaner aus Berlin gibt es von der Innenverwaltung bisher noch nicht.

Mit auf den Weg bekommen die Flüchtlinge bisher nur Rückkehr-gelder aus den internationalen Programmen REAG und GARP, 450 Mark für Erwachsene und 200 Mark für Kinder, die auch für andere Flüchtlinge gelten. Dabei übernimmt der Bund 50 Prozent der Kosten, Berlin die andere Hälfte, die aus umgewidmeter Sozialhilfe bezahlt wird. Die Reisekosten werden ebenfalls übernommen. Die Ausländerbeauftragte möchte den Flüchtlingen jedoch einen zusätzlichen Anreiz für eine freiwillige Ausreise geben, rund 400 Mark mehr pro Person. Es habe aber keinen Sinn, Druck auf die Kosovo-Albaner auszuüben. Eine politische Entscheidung gibt es dazu bisher noch nicht.

Xheladin Ajeti hat es auf jeden Fall eilig. So schnell es geht, sagt er immer wieder, will er weg, und wedelt ungeduldig mit dem ungeliebten Paß. „Ich hatte ja nie die Möglichkeit etwas zu kaufen“, sagt er. Seine kleine Reisetasche hat er bereits gepackt.

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