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19.50 Uhr Abfahrt Bonn, der Umzug rollt nach Berlin

■ Der Deutsche Bundestag sitzt auf gepackten Kisten. Am Montag startet der Jahrhundertumzug von Bonn nach Berlin. Der Transport von Kisten, Möbeln, Aktenbergen und 7.500 Flaschen Wein kostet rund 10 Millionen Mark

Manchmal setzen sich auch politische Werbeslogans durch, obwohl der ursprüngliche Protagonist, Rudolf Scharping als Kanzlerkandidat, damit einst kläglich gescheitert sind. „Jetzt geht's los“, kommentierte der Leiter der Projektgruppe Steuerung Umzug Berlin des Deutschen Bundestages, Roger Cloes, gestern die Aufbruchsstimmung unter den 4.058 Angehörigen des Parlaments Bundestages, die ab Montag von Bonn nach Berlin ziehen werden. Dazu gehören die Präsidenten, die Fraktionsmitarbeiter, die Abgeordneten und ihre wissenschaftlichen Mitarbeiter, Stenografen, der Fahrdienst und die Hausdruckerei, sowie Boten und Bibliothekare. Weitere 1.241 Verwaltungsangestellte werden Ende des nächsten Jahres in die Hauptstadt folgen.

Es ist der kostspieligste und größte Umzug – tituliert als Jahrhundertumzug – der jüngsten deutschen Geschichte. Der Transport wird fast zehn Millionen Mark kosten, es werden 50.000 Kubikmeter Möbel und Bücher, darunter 37.000 laufende Meter Akten und 7.500 Flaschen Wein und wertvolles Porzellan transportiert werden. 180 Packer der Confern-Gruppe, ein Zusammenschluß von 90 mittelständischen Spediteuren, die den Zuschlag nach einer Ausschreibung bekamen, werden den Umzug ab morgen abwickeln. Etwa 25 Mitarbeiter steuern die Logistikaktion.

Ab Samstag werden die Möbelpacker Kisten füllen und am Montag in die ersten 30 Container verstauen. Die werden dann am Abend mit Lkws zum Kölner Container-Bahnhof gefahren. Um 19.50 wird sich, wenn alles nach Plan läuft, der Sonderzug der Deutschen Bahn Cargo in Richtung Berlin in Bewegung setzen. Fast täglich wird sich dieses Prozedere in den nächsten vier Wochen wiederholen. „Aber im Moment transportieren wir die eigentlich kostbaren Werte, nämlich die Kunst des Bundestages“, erzählt Brigitte Hofmann von der Confern-Gruppe. Aufwendig verpackt werden mit Lastwägen Unikate wie ein Adenauer-Portrait von Oskar Kokoschka im Wert von einer Million Mark nach Berlin gefahren. Das Bild hing bislang im Büro der früheren Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth.

In Bonn selbst wurden gestern die letzten logistischen Vorbereitungen getroffen. Die Mitarbeiter des Bundestages bekamen verschiedenfarbige Etiketten für die unterschiedlichen Liegenschaften in Berlin. „Wir haben ein ganzes Sortiment. Die Farbe Weiß steht beispielsweise für den Reichstag und die Farbe Olive für die Mauerstraße 29, wo die PDS zunächst einzieht“, so Cloes.

Der Großteil der Abgeordneten und Mitarbeiter muß sich zunächst mit Interimslösungen zufriedengeben, bis die Neubauten, das Paul-Löbe-Haus, das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus und das Jakob-Kaiser-Haus im Regierungsviertel fertiggestellt sind. Von den 81 Liegenschaften, die derzeit vom Bundestag in Bonn genutzt werden, werden in den nächsten vier Wochen 53 abgeben werden. Für einen Großteil der Büros hätten laut Cloes bereits neue Mieter einen Vertrag unterschrieben.

In Berlin wird der Bundestag in 16 Liegenschaften ziehen. „Wir haben uns bemüht, die Mitglieder der verschiedenen Fraktionen möglichst entsprechend ihrer Parteizugehörigkeit zusammen unterzubringen“, so Cloes. So wird eine Großzahl von SPD-Abgeordneten Unter den Linden 50 zu finden sein, die CDU-Parlamentarier in der selben Straße in der Hausnummer 71 sowie in der Wilhelmstraße 60. Die Grünen werden in die ehemalige Generalstaatsanwaltschaft in die Luisenstraße 32 – 34 ziehen, und die FDP wird sich übergangsmäßig in die Dorotheenstraße 93 im ehemaligen Justizministerium einrichten. Annette Rollmann

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