: Die Szene ist cross
■ Nicht nur für die üblichen Bescheidwisser: Heute eröffnet im Pfefferberg der „Comic-Garten“, Berlins erste Comic-Börse
Berlin hat eine durchaus rührige Comic-Zeichner-Szene. Aber die Strips aus Berlin finden hauptsächlich im klassischen Feuilleton Aufmerksamkeit und Verbreitung. Ambitionierte Zeichnerinnen und Zeichner wie Anke Feuchtenberger, Jim Avignon oder Lilian Mousli werden dort als Schöpfer von dekorativen Bildern betrachtet, ihre Comics werden wie Kunstbücher verhandelt und vollständig aus dem ästhetischen Zusammenhang mit Micky Maus oder Spiderman herausgerissen. Auch Katz & Goldt, OL und Fil werden von den Rezensenten ihres subtilen Humors wegen belobigt, nicht aber als Konkurrenten zu Erfolgsserien wie „Werner“ oder dem Heft „Mad“ angesehen.
Dem großen Publikum jedoch mag man diese Comic-Künstler nicht zumuten. Allein findet das Publikum nicht zu deren Werken, denn den Verlagen fehlen die Mittel für eine bundesweite Kampagne. Die von großen Verlagen nicht selten erzielten Auflagenhöhen von mehreren 10.000 Exemplaren bleiben für die Berliner Zeichner ein unerfüllter Traum. Daran wird auch Bundesverkehrsminister Franz Müntefering nichts ändern, der in seinem Büro ein Bild Jim Avignons aufhängen ließ.
Berlin ist also nicht gerade die deutsche Comic-Hauptstadt. Das liegt nicht nur zum einen daran, daß sich die Autoren zwar kennen, aber keine Lobby haben, und sie nur mehr oder weniger eng über ihre Verlage miteinander verbunden sind. Eine alle Künstler versammelnde, regelmäßig erscheinende Comic-Zeitung, wie sie beispielsweise Stuttgart mit der Moga Mobo hat, konnte in Berlin bislang noch nicht realisiert werden. Zum anderen hat die Werbebranche in Berlin nur Filialen. Mittelständige Agenturen aber, deren Grafikbüros den Zeichnern lukrative Jobs vermitteln könnten, fehlen.
Lediglich der hiesige Pressekrieg wirke belebend auf die Berliner Comic-Szene, meint Dirk Baranek von Jochen Enterprises, denn beim Kampf um das Publikum wäre jedes Mittel, also auch Comics, recht, was sich zum Beispiel daran zeige, daß die Berliner Zeitung seit ihrem Relaunch über eine wöchentliche Comic-Seite verfügt. Ansonsten kann die Zeichnerszene kaum von der „Neuen Mitte“ profitieren. Comics werden von der Kulturpolitik offensichtlich als wenig repräsentativ eingeschätzt.
Aus diesem Grund haben die Verlage Reprodukt und Jochen Enterprises nun selbst die Initiative ergriffen: Mit einem „Happy Day Of Comics“ in ihrem „Comic-Garten“ am Pfefferberg wollen sie sich am heutigen Samstag auch solchen Leuten präsentieren, die den Pfefferberg bislang nur wegen seines Popmusik-Programms besucht haben.
An rund 25 Ständen präsentieren sich die Berliner Zeichner und ihre Verlage. Jungle World, Zitty oder taz offerieren ihre Comic-Serien, aber auch Gäste aus dem Rest der Republik zeigen, was es an Comic-Kultur außerhalb des Mainstreams gibt.
Obwohl die Veranstaltung auf diese Weise einen Messe-Charakter bekommt, soll der „Comic-Garten“ keine weitere Comic-Börse für die üblichen Bescheidwisser werden. Vielmehr soll das Publikum unterhalten werden: Ab 14 Uhr werden NeoAngin, Klaus Cornfield und der berühmte Fil Musik machen, aber auch Zeichner wie Naatz oder TOM, die nicht zwischen der Musik und dem Stift hin- und hercrossen, werden sich anschauen und ausfragen lassen. Zudem kann man sich in Evelins Fucky-Zoo fotografieren lassen oder sich in einem Videowohnzimmer Trash-Videos aus der Szene hingeben. Der Eintritt ist frei. Ab 22 Uhr wird der harte Kern dann allmählich den Pfefferberg verlassen, und sich ins Shining Labor im Dock 11 an der Kastanienallee aufmachen, in dem heute zum letzten Mal ATAKs Ausstellung „Pop-Stille“ zu sehen ist.
Wenn der „Comic-Garten“ heute zu einem Erfolg werden sollte, das kündigen die Veranstalter an, dann könnte er vielleicht jedes Jahr stattfinden wird. Tja, öhm, das heißt, vielleicht aber doch nur alle zwei Jahre, da jedes zweite Jahr eine wichtig Comic-Börse in Erlangen stattfindet, die genau in die Vorbereitungszeit für den „Comic-Garten“ fiele und doch von den Künstlern und Verlagen keinesfalls ausgelassen werden darf. Erlangen. Berlin ist noch ziemlich weit von einer Comic-Hochburg entfernt. Jörg Sundermeier
Der „Comic-Garten“ öffnet seine Pforten heute ab 12 Uhr im Pfefferberg, Schönhauser Allee 176. Eintritt frei
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