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Die Frage, wer Stier und wer Tuch sein wird

Heute finden die ersten Berliner Tanzmeisterschaften für gleichgeschlechtliche Paare mit offizieller Beteiligung des Tanzsportverbandes statt. Getanzt wird in drei Klassen und nach Geschlechtern getrennt  ■   Von Claudia Wagner

Heute finden sie statt: die ersten offenen Berliner Tanzmeisterschaften für gleichgeschlechtliche Paare. 45 Frauen- und Männerpaare aus der gesamten Republik, aus Holland und England werden dann auf hohem sportlichem Niveau um die Wette tanzen. Zwar gibt es in Deutschland seit einigen Jahren immer wieder gleichgeschlechtliche Tanzturniere, doch die heutige Veranstaltung ist etwas ganz Besonderes. Denn noch nie hat es eine derartige Veranstaltung mit der offiziellen Beteiligung eines Landestanzsportverbandes (LTV) gegeben. Heute aber werden zum ersten Mal vom LTV gestellte und vom Deutschen Tanzsportverband (DTV) anerkannte Wertungsrichter über die Tanzfertigkeit der Paare entscheiden.

Das ist ein großer Schritt. Denn vor nicht allzu langer Zeit fanden derartige Tuniere unter weit weniger positiven Vorzeichen statt. 1995 drohte der DTV, der Dachverband der Landestanzsportverbände, Teilnehmern und Wertungsrichtern der Euro-Games in Frankfurt mit dem Ausschluß aus dem „heterosexuellen“ Tanzsport. „Daß in Berlin nun DTV-Wertungsrichter das Turnier werten werden, sehe ich als einen wichtigen Schritt hin zur Anerkennung des homosexuellen Tanzleistungssports auf offizieller Ebene“, meint Martin Loeper, Sieger in den Lateinamerikanischen Tänzen der Euro-Games 1996 in Berlin. Franz Allert, Vorsitzender des LTV Berlin, begrüßt das Turnier. „Seit längerem schon besteht bei den gleichgeschlechtlichen tanzenden Paaren ein Bedarf, sich auch auf Turnieren messen zu können“, sagt er. „Mit diesem Turnier kommt nun auch Berlin endlich diesen Paaren entgegen.“

Daß die Meisterschaften heute überhaupt stattfinden, ist vor allem das Verdienst der Initiative „Pink Ballroom“ des Berliner Tanzsportclubs. Seit Oktober 1998 bietet dieser alteingesessene Weddinger Tanzsportverein als erster ein professionelles Turniertraining für homosexuelle Paare in den Standard- und Lateinamerikanischen Tänzen an. Und diese wird es morgen auch zu sehen geben: Cha-Cha-Cha, Rumba, Wiener Walzer, Tango und all die anderen Tänze, die jeder einmal in der Tanzschule gelernt hat – interpretiert von Frauen- und Männerpaaren. Getanzt wird in drei Leistungsklassen, die in einer vorgeschalteten Sichtungsrunde ermittelt werden. Neu ist, daß Frauen und Männer getrennt tanzen. Denn – warum auch immer – in fast allen gleichgeschlechtlichen Turnieren belegten bisher Männer die vorderen Ränge.

Uneingeweihte Zuschauer werden sich dann mit der Frage quälen, wer denn nun in der Rumba zweier Männer der Werbende und wer der Umworbene ist. Welche der beiden Frauen im Paso doble der Stier und welche das rote Tuch ist. Die Antwort: Man weiß es nicht, bis man das Paar tanzen sieht. Auch birgt das gleichgeschlechtliche Tanzen neue Chancen, wie den Führungswechsel mitten im Tanz. „Deshalb müssen auch die Wertungskriterien etwas verändert werden“, erklärt der LTV-Vorsitzende Allert, „denn wenn Frauen mit Frauen und Männer miteinander tanzen, dann weicht natürlicherweise das Rollenspiel auf“. Wem aber danach ist, der kann auch das traditionelle Mann-Frau-Prinzip imitieren.

Auf jeden Fall entsteht bei der ungewohnten Optik eine neue Tanzästhetik. Manche mögen sie für karnevalesk halten, zumal wenn Herren im Kleid oder Frauen im Smoking tanzen. Doch wer schon einmal ein sogenanntes normales Turnier im Fernsehen verfolgt hat, der weiß: Auch dort erinnert vieles an Rio. Die Tanzmeisterschaft findet am heutigen Samstag im „Berliner Tanzsportclub“, in den Osramhöfen, Groninger Straße 11–23 statt. Beginn der Tagesveranstaltung ist 13 Uhr, abends ab 20 Uhr Endausscheidungen mit Ball. Telefonische Infos unter 4 56 59 86.

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