: Unterschriften für die Rechts-Schreiber
Gernot Holstein ist aktiv gegen die Rechtschreibreform – und hat sich in allerlei rechten Organisationen getummelt ■ Von Gereon Asmuth
Er ist mit Sicherheit einer der bekanntesten Jurastudenten der Republik. Seit sich der Vater von vier Kindern 1997 als einziger in seiner Klasse weigerte, die Schulfibel seines Sohnes durch einen Aufkleber zur Rechtschreibreform zu aktualisieren, widmete sich der heute 42jährige Gernot Holstein voll und ganz dem Kampf gegen die neuen Schreibregeln. Holstein gründete die Bürgerinitiative „Wir sind das Rechtschreibvolk“ und klagte 1997 zunächst mit Erfolg vor dem Berliner Verwaltungsgericht. Das Land Berlin, so entschieden die Richter, dürfe Holsteins Kinder nicht nach dem reformierten Regelwerk unterrichten. Bundesweit bekam Holstein positive Resonanz von Reformgegnern.
Da die Berliner Schulverwaltung aber Revision einlegte, blieb die Entscheidung ohne direkte Folgen. Und als das Bundesverfassungsgericht im Juli 1998 alle rechtlichen Zweifel an der Reform vom Tisch wischte, war auch Holsteins Klage gescheitert. In einem im Internet veröffentlichten Kommentar zum Urteil ließ der „cand. iur.“ Holstein seinem Ärger freien Lauf. Das Gericht habe die Argumente der Kritiker nicht einmal ansatzweise berücksichtigt, meint Holstein und fragt: „Wurde hier ein Urteil zugunsten eines händlerischen Unternehmertums und gegen ein traditionsbewußtes Volkswollen gefällt?“ Der Tradition und dem Volkswollen widmete sich Holstein, der lange davon träumte, ein Rockstar zu sein, und bis zum Alter von 33 Jahren von der Musik lebte, schon vor seiner Zeit als Rechtschreibbewahrer. Das belegen Recherchen des Antifaschistischen Presse-Archivs Berlin. Im März 1990 wurde Holstein auf der offiziellen Vereinsgründungsversammlung der „Deutschen Kulturgemeinschaft Preußen“ (DKG) zum zweiten Vorsitzenden gewählt. Im Berliner Verfassungsschutzbericht von 1991 heißt es über diese Organisation: „Die 1983 von einem Kreis oppositioneller Berliner NPD-Mitglieder um die als Integrationsfigur der rechtsextremistischen Szene Berlins respektierte Dr. Ursula Schaffer ins Leben gerufene 'Deutsche Kulturgemeinschaft Berlin‘, die sich seit 1991 'Berliner Kulturgemeinschaft Preußen‘ nennt, hat sich seit 1988 zu einem Sammelbecken für das gesamte rechtsextremistische Spektrum Berlins entwickelt.“ Ihr gehörten, „vorwiegend Angehörige der Berliner NPD, aber auch einige bekannte Neonazis“ an.
Schaffer wurde zur Vorsitzenden gewählt. Zum Kassenprüfer wurde unter anderem Wolfgang Nahrath, damals Bundesführer der 1994 verbotenen Wiking-Jugend bestimmt. Laut Protokoll der Gründungsversammlung erläuterte Holstein den 16 Anwesenden die Bedeutung der „Notgemeinschaft für Volkstum und Kultur“, der laut Satzung im Falle einer Auflösung der DKG das Vereinsvermögen zufallen sollte.
Seinen baldigen Austritt aus der DKG begründete Holstein in einem Schreiben an die Vereinsvorsitzende in erster Linie mit Arbeitsüberlastung. 1990 hatte Holstein auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur gemacht und danach sein Jurastudium begonnen.
Darüber hinaus klagt Holstein in dem Schreiben auch über Differenzen im Vorstand, schließt aber mit den Worten: „Trotzdem wünsche ich dem Vorstand und dem Verein für die Zukunft alles Gute“.
Wenig später taucht Holstein im Umfeld der „Artgemeinschaft“ auf. Diese „Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung“ wurde im Verfassungsschutzbericht des Bundesinnenministeriums für 1997 als „rechtextremistische Gruppierung“ bezeichnet, die von dem „rechtsextremistischen Hamburger Rechtsanwalt Jürgen Rieger gelenkt“ werde.
In einem von der Artgemeinschaft im Internet verbreiteten Artikel heißt es: „Das Sittengesetz in uns weist uns darauf hin, daß es entscheidend für die Erhaltung der eigenen Identität ist, daß germanische Heiden sich 'gleichgeartete‘ Partner wählen, das heißt, der Mann oder die Frau soll genauso aussehen wie man selbst aussieht, er/sie soll der gleichen Menschenart angehören, der man selbst angehört. Denn nur dann werden die Nachkommen unser genetisches Erbe erhalten können.“
Die Artgemeinschaft gibt vierteljährlich die Publikation Nordische Zeitung heraus. In einer Ausgabe von 1992 berichtet sie über eine „Berliner Gefährtschaft im Aufbau“. In dem Artikel heißt es: „Die Mitglieder der Gefährtschaft i. A. begrüßen ganz herzlich als Neuaufnahmen Sabine und Gernot Holstein“. In einer Gegendarstellung gegen die taz, bei der sich Holstein dagegen verwahrte, Mitglied der Artgemeinschaft zu sein, stellte er hierzu fest: „Ich war von 1992 bis 1993 Mitglied der 'Berliner Gefährtschaft im Aufbau‘. Hierbei handelt es sich um einen losen Zusammenschluß freireligiöser Menschen zur Brauchtumspflege, der mit dem Verein 'Artgemeinschaft e. V.‘ nicht identisch ist“.
Im Juni 1993 beschloß die Mitgliederversammlung der Artgemeinschaft folgende Satzungsergänzung: „Mitglieder der Artgemeinschaft, die nicht zu weit voneinander entfernt wohnen, können sich zu einer Gefährtschaft zusammenschließen. Die Gefährtschaften sind Träger des religösen Lebens in einem bestimmten Raum“. In der Einladung zur Versammlung hieß es diesbezüglich: „Die Satzungsänderung haben wir zwar schon beschlossen, das Vereinsgericht hat dies aber nicht anerkannt. Obwohl eine Gefährtschaft bereits sehr erfolgreich arbeitet, müssen wir deshalb diesen Satzungspunkt erneut verabschieden“.
Noch in einem Protokoll des „Thing“ – wie die Artgemeinschaft ihre Versammlungen nennt – vom Juni 1994 wurde der „Gef. Holstein“ erwähnt. Aus einem „offenen Rundbrief“ des ehemaligen Mitglieds der Artgemeinschaft, Sepp Biber, geht schließlich hervor, daß Holstein die Artgemeinschaft nach einem Streit mit dem Vereinsvorsitzenden Jürgen Rieger nach dem 10. November 1994 verließ.
Schon zuvor kümmerte sich Holstein um sein späteres Hauptthema. Der „Bund für deutsche Schrift und Sprache“ begrüßt Holstein in seiner Zeitschrift „Die deutsche Schrift“ (Ausgabe 1/94) als neues Mitglied. Der Verein setzt sich laut einer Selbstdarstellungsbroschüre „dafür ein, die deutsche Sprache und die deutsche Schrift als zwei schöne Blumen im Garten der Volkskulturen zu pflegen und zu erhalten“. Er bezeichnet die Rechtschreibreform als „grundstürzende Änderung unserer Rechtschreibung“, mit der „ein schwerwiegender Kulturbruch verbunden wäre“. So ist es wenig verwunderlich, daß Holstein in der Ausgabe 1/1998 über die Prozesse gegen die Rechtschreibreform schreibt.
Doch auch parteipolitisch äußert sich „Die deutsche Schrift“ eindeutig. In einem Artikel über „Kulturpolitische Betrachtungen zur Bundestagswahl“ in der Ausgabe 2/1998 heißt es: „Wir sollten uns vielmehr jenen Parteien zuwenden, die sich dem Erhalt der deutschen Kultur, dem deutschen Volke, seiner Schrift und Sprache verpflichtet fühlen. Mögen solche Parteien auch nur eine Minderheit darstellen, sie allein verdienen unsere Achtung und Wertschätzung, allen Anfeindungen und Verleumdungen zum Trotz!“
Derzeit sammelt Holstein zusammen mit dem „Berliner Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege“ Unterschriften für das von ihm mitinitiierte Berliner Volksbegehren „Schluß mit der Rechtschreibreform!“ Nachdem in einer ersten Sammlung über 35.000 Menschen das Begehren unterstützten, wurde es zwar vom Senat zugelassen. Doch für einen endgültigen Erfolg müßten nun innerhalb von zwei Monaten bis zum 9. Juli 243.000 Berliner das Begehren unterstützen. Bisher haben sich jedoch erst etwa 86.000 Wahlberechtigte in die Listen eingetragen. Doch Holstein gibt nicht auf. Denn, so wurde er bereits 1998, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, zitiert: „Für mich war die Rechtschreibreform Prüftstein der Demokratie“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen