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Ruhe, aber kein Frieden

Die Krawalle bei der protestantischen Parade im nordirischen Portadown blieben aus. Nun wittern mißtrauische Katholiken einen Deal hinter ihrem Rücken  ■   Aus Portadown Ralf Sotscheck

Es war eine ruhige Nacht, jedenfalls im Vergleich zu früheren Jahren. Nach der Parade des protestantischen Oranier-Ordens im nordirischen Portadown am Sonntag kam es nur zu unbedeutenden Zwischenfällen, obwohl die zweite Hälfte der Parade, die über die katholische Garvaghy Road führen sollte, verboten worden war. Sechs Oranier in schwarzen Anzügen, Bowler-Hüten und orangenen Schärpen überreichten der Polizei an der Barrikade einen Protestbrief.

Die meisten Marschteilnehmer gingen später nach Hause. In der Nacht warf eine Handvoll Jugendlicher Steine und schoß Feuerwerksraketen in Richtung Polizei ab. Kurz vor Mitternacht brachen etwa hundert Oranier durch die Abperrungen und drangen fast bis zur katholischen Kirche am Fuß der Garvaghy Road durch. Sie wurden von der Polizei, die ein Plastikgeschoß abfeuerte, jedoch zurückgedrängt.

Bei den Anwohnern der Garvaghy Road machte sich schon am Nachmittag Mißtrauen breit. Der relativ friedliche Auftritt der Oranier deute auf einen Deal mit Premierminister Tony Blair hin, sagte jemand vom Bürgerkomitee. Man habe den Oraniern wohl in Aussicht gestellt, den Marsch in ein paar Wochen zu genehmigen, falls sie sich bis dahin anständig benehmen.

Die Oranier bestreiten das. David Watson, Großmeister der Oranier-Loge der Grafschaft Armagh, sagte: „Es hat keine Abmachungen gegeben.“ Watson fügte hinzu, daß der Orden auch in Zukunft keine direkten Gespräche mit den Anwohnern führen werde, weil „ihr Komitee von der IRA gesteuert“ werde. Breandan MacCionnaith, der Sprecher des Komitees, ist Anfang der 80er Jahre wegen Waffenbesitz und Mitgliedschaft in der IRA zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Er sagte am Sonntag abend zur taz: „Direkte Gespräche müssen sofort beginnen, damit sich diese Situation im Jahr 2000 nicht wiederholt. Für dieses Jahr ist die Parade vorbei.

Das sehen die Oranier anders. Harold Gracey, der Oranier-Chef von Portadown, kündigte an, daß er weiterhin an der Barrikade zelten werde, bis die Parade ordnungsgemäß mit dem Marsch über die Garvaghy Road beendet werden könne. Gracey lebt bereits seit vorigem Jahr, als die Parade ebenfalls verboten wurde, in dem Zelt. Gracey sagte, er werde seinen Protest jedoch sofort abbrechen, sollten seine Anhänger Gewalt anwenden. MacCionnaith sagte, diese Worte klängen hohl in Anbetracht der Tatsache, daß Gracey seinen Protest nicht abgebrochen habe, als sechs Menschen im Zusammenhang mit der Parade vom vorigen Jahr ermordet worden waren.

Wahrscheinlich wird die Parade auch Thema bei den bevorstehenden Verhandlungen um den Vorschlag der beiden Regierungen vom vergangenen Freitag sein. Er sieht für den 15. Juli die Bildung einer Mehrparteienregierung unter Teilnahme Sinn Féins vor, doch binnen einer kurzen Frist muß die IRA mit der Abrüstung beginnen. Andernfalls werde das nordirische Regionalparlament wieder aufgelöst. Über diesen Punkt sind die Unionisten besonders empört. Sie argumentieren, daß sie, denen das Parlament besonders am Herzen liegt, bestraft würden, wenn die IRA nicht abrüstet.

Blair deutete gestern an, daß er damit einverstanden wäre, das Parlament in diesem Fall nicht aufzulösen, sondern lediglich Sinn Féin aus der Regierung hinauszuwerfen. Blair will die unionistischen Abgeordneten des Belfaster Parlaments noch in dieser Woche in die Downing Street einladen, um sie zur Annahme des Regierungsvorschlags zu überreden.

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