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Prizren bejubelt Türken

■  Die Ankunft der ersten 130 türkischen KFOR-Soldaten weckt Erinnerungen an bessere Zeiten. 600 Jahre lang wehte die Halbmondflagge über dem Kosovo, dann kamen die Serben und das Unglück

Prizren (AP) – Die ersten Soldaten aus der Türkei kamen an – und Prizren stand Kopf: In den Straßen wurde getanzt, purpurrote Flaggen wurden geschwenkt. Man begrüßte sie überschwenglich und besann sich der ruhmreichen alten Zeiten in diesem von etlichen Minaretten überragten Ort, der langsam zu städtischem Leben zurückfindet.

Die 130 Mann sind die Vorhut eines 1.000 Mann starken türkischen Nato-Kontingents, das im deutschen Sektor stationiert werden soll. Und für die Serben symbolisieren sie den schlimmsten Albtraum. Ein halbes Jahrtausend lang hatten Türken den Balkan beherrscht, bis sie 1912 von den Serben aus dem Kosovo vertrieben wurden.

„Wir sind überglücklich“, schrie Leutnant Hassan Ibrahim, während er einen Strauß Rosen aus der Luft auffing und ihn zu dem wachsenden Blumenberg auf seiner Kühlerhaube hinzulegte. Menschenmassen versperrten seinem Fahrzeug den Weg, ein Wald von Händen streckte sich winkend zu seinem Fenster hinauf.

Die 50 Lkws brauchten zwei Stunden, um sich zentimeterweise durch Prizren vorzuarbeiten, bejubelt von Kosovo-Albanern und Angehörigen der türkischen Minderheit. Kinder mit türkischen und albanischen Flaggen umkreisten den Konvoi. Zwei Schulmädchen schleppten ein riesiges Plakat mit dem Bild von Mustafa Kemal Atatürk durch die Straßen.

Niemand entging die Bedeutung dieses Tages. Als die Türken im Jahre 1389 hier eine Schlacht gewannen, blieben sie über fünf Jahrhunderte. In Bosnien nennen die Serben ihre muslimischen Landsleute bis heute „Türken“.

„Das bedeutet, daß wir Frieden, Freiheit, Glück und endlich ein besseres Leben haben werden“, sagte Murvet Troshalla, ihre 14jährige Tochter Cennet nickte zustimmend. Sie hat eine große türkische Flagge auf ihren Arm gemalt. Eine zweite war mit Klebefilm an ihrer Stirn befestigt. „Man kann sie nicht sehen“, scherzte sie, „aber in meinem Herzen weht noch eine dritte.“ Nebenan skandierte eine Kinderschar im Marschrhythmus „Kosovo – Türkei! Kosovo – Türkei!“

Auch wenn Bundeswehreinheiten schon seit einigen Wochen in Prizren stationiert sind, kamen die türkischen Soldaten noch einmal in den vollen Genuß überschäumender Befreiungseuphorie. Die Beziehungen vieler Bewohner Prizrens zur türkischen Kultur sind bis heute eng, etliche sprechen bis heute im Alltag türkisch. Etwa 60.000 Menschen türkischer Herkunft leben im Kosovo.

Auch einige Bundeswehrfahrzeuge fuhren in dem Konvoi mit, einige Soldaten ließen sich von der Stimmung anstecken. Andere wurden ihrer Rolle als Verkehrspolizisten für das türkische Freudenfest bald überdrüssig: „Ich hab Scheißlaune, also macht voran“, brüllte ein stämmiger Soldat und drohte mit einem derben Stock. Als ein albanischer Junge einem Bundeswehrsoldaten die Hand schütteln wollte, fluchte der nur kurz und drehte sich weg.

Das türkische Infanterie-Kontingent wird außerhalb von Prizren sein Lager aufschlagen. Es soll, wie die anderen Nato-Truppen auch, den Frieden bewahren und den Aufbau einer zivilen politischen Ordnung unterstützen. Griechenland hatte sich zuerst der Beteiligung der Türkei an den KFOR-Einheiten widersetzt, aber dann nachgegeben.

Drei Männer mit zerfurchten Gesichtern warteten am Rande der Stadt, um möglichst früh einen Blick auf den Konvoi erhaschen zu können. Niazi Mahmuti ist schon achtzig Jahre alt, er ist also nur sieben Jahre nach der Vertreibung der Türken aus dem Kosovo geboren worden. „Mein Vater hat mir immer erzählt, wie friedlich und glücklich das Leben unter den Türken war, wie wir es uns leisten konnten, ein gutes Leben zu führen“, sagte er. „Unter den Serben haben wir nicht besser als unsere Tiere gelebt.“ Sein Freund Shefki Talo ist ein Jahr jünger, mit einem Taschenmesser schnitzte er Kerben in seine Fahnenstange. Er ist mit der Hoffnung groß geworden, daß der weiße Halbmond mit dem Stern auf rotem Grund noch einmal über dem Kosovo wehen würde.

Aber heute dachte er mehr an die Gegenwart. „Ich bin hier, um die Nato zu ehren, all die Soldaten, die uns gerettet haben“, sagte er. Die deutschen Truppen seien gerade noch rechtzeitig angekommen, glauben viele in Prizren. Sie sind überzeugt, daß die Serben geplant hatten, ihre Stadt vollständig niederzubrennen. „Die drei letzten Tage waren wir sicher gewesen, daß wir praktisch schon tot seien, daß die Serben uns alle umbringen würden“, sagte Talo. „Die Welt hat uns gerettet.“

Drita Atallahu, ein in Prizren geborener Englischlehrer, ist fest überzeugt, daß die Ankunft der türkischen Soldaten ein passender Schluß in einer Kette glücklicher Ereignisse ist. „Morgen werde alles besser, glaubten wir immer. Jetzt ist endlich morgen!“

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