: Wenn die Synapsen flotter werden
■ Im Berliner Virchow-Forschungszentrum löste ein alkoholisches Experiment die Zungen der Wissenschaft
Besäufnis auf dem Campus? Ganz unverblümt in den Hallen der Lehre und Forschung? Offiziell hatte die Charité letzte Woche jedenfalls zu einem „Forschungspicknick zum Thema Alkohol“ geladen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Doch schelmische Gesichter sind überall in den Sitzreihen zu sehen, als Prof. Dr. Cornelius Frömmel seine Begrüßungsvorlesung hält: Im Anschluß daran startet ein alkoholisches Experiment, das sich über den ganzen Nachmittag und die folgenden Vorträge erstrecken soll.
Handelt es sich um eine Neuauflage der berühmten Heidelbeer-Verkostungs-Szene aus der „Feuerzangenbowle“? Oder werden hier und heute neue Gesprächsformen der Wissenschaft geprobt? Das trifft die Sache schon, denn „die Kunst der Entspannung bei einem Glase Wein“ sei diese: „Sobald einige Synapsen flotter werden, sollte man dies zur sozialen Kommunikation nutzen“, sagt Frömmler.
Und um entspannte Kommunikation soll es vor allem gehen, hier in den Sälen der Pathologie auf dem Virchow-Gelände. Verständigung zwischen Experten und Laien abseits der Spezialistenklüngelei – bitter nötig, findet Frömmler. „Es herrscht eine unschöne Sprachlosigkeit, wenn Fachleute ihr Gebiet unkompliziert erklären sollen. Verständliche und bildhafte Rede ist aber kein Verlust an Wissenschaftlichkeit.“ Deshalb sollte es viel mehr Austausch mit der Außenwelt geben, das fördere freies Denken und große Schritte.
Und wem schadet schon so ein bißchen soziales Leben? „Früher sind die Leute mit ihren Assistenten jeden Tag essen gegangen und hatte zwei Stunden Mittagspause zur regen Unterhaltung!“, begeistert sich der Professor. Diese verflossenen Zeiten menschlicher Nähe sollen mit dem „Forschungspicknick“ in der Welt der Akademiker wiederbelebt werden.
Frömmel zeigt als erster der sieben Referenten, wie sich Wissenschaftliches konkret und unterhaltsam weitergeben läßt.
„,Ernährungs-Alkohol‘ als Nahrungsmittel für treffliche Studenten“ lautet der Titel seiner Vorlesung, eine Rundumbetrachtung des Rauschmittels als Bestandteil und Zerstörer von Kultur.
Die Zuhörer hat er ganz auf seiner Seite, wie er da so steht – gelbgemusterte Fliege, dichter Vollbart und lebhafte Gestik, ein Hauch von Sächsisch in der Rede. Frömmel erläutert die Ausscheidung des Alkohols durch Körper und Atem („das ist das, womit Sie den Polizisten begrüßen“), plaudert aus der Suchttheraphie, warnt vor leichtsinnigem, auch: gymnasialem Sturztrinken. Auf einen Abstecher in die Kulturgeschichte („der Islam ist ja nun auch nicht gerade in Schweden gewachsen“) folgt der Bericht über den Charité-Rekordhalter: „sechs Komma null Promille, den hätten Sie ohne Narkose auf der Intensivstation operieren können.“
Mit dieser Warnung entläßt der Professor seine Zuhörer in die erste Pause. Draußen vor der Tür wartet eine Dame in Blond mit Testgeräten und Mundstücken zum Pusten, außerdem eine beachtliche Menge Trinkbares. Wer hier zugreifen will, muß Nüchternheit und freiwillige Teilnahme per Unterschrift bestätigen.
Ein paar Studenten stellen sich an, bald mehr, dann auch die Studentinnen. Wie sprach doch der famose Professor kurz vorher: „Die Frau verträgt weniger, und in ihrer Klugkeit trinkt sie auch nicht soviel.“ Wer nicht testet, harrt würstchenkauend der nächsten Vorträge.
Diese schwingen sich unverhofft zu wissenschaftliche Höhen auf. In den Gesichtern der Experimentteilnehmer malt sich dagegen Schläfrigkeit ab. Vorne wird, zakkig, zackig, über Suchtverhalten und Leberzirrhosen referiert. Zur Illustration dienen schwerverständliche Lehrdias und Wandbilder von Hans Huckebein, dem angetüterten Raben aus den Wilhelm-Busch-Geschichten. Immerhin ist zu erfahren, daß der deutsche Staat jedes Jahr acht Millionen Mark Steuern am deutschen Trinker verdient.
Doch wie an einem Kneipentisch zu später Stunde, kommt unversehens Leben in die Runde. Historiker Dr. Nabielek legt den Koran neu aus und erklärt, nicht der Alkohol sei im Islam verboten, sondern nur der unflätige Rausch. Anwesende muslimischen Glaubens beziehen zornig Gegenposition, es entbrennt eine Fachdebatte. „Die kennen sich ja alle!“, flüstert ein erwachender Zuhörer. Frömmler moderiert bereits mit leuchtenden Augen. Das hätte er ja nicht gedacht, daß sich an der Frage des Alkohols von null auf hundert eine Diskussion entzündet, sagt er hinterher. Wunderbar – hier sei die große Frage gestellt worden: Wie soll man leben?
Der Religionsdisput wird von der Pause gekappt. Der Professor stellt im Hinterhof die Rasensprenger um, damit sich die Teilnehmer im Grünen erholen können. Unter ihnen ist Testerin Sandra. Sie studiert im 4. Semester Medizin und ist zwischenzeitlich beim Wein und 1,0 Promille angelangt. Begonnen hat sie mit Wodka. Sie trinkt sonst nie, sagt sie, hier wolle sie quasi kontrolliert erleben, was mit ihr passieren könne. Noch fühle sie sich gut, betont sie etwas schwerzungig. Und daß Professor Frömmler ein großartiger Mensch sei. Seine leichtverständlichen und lustigen Vorlesungen über Biochemie seien „wie direkt aus dem Leben“, schwärmt sie, auch die kompliziertesten Dinge sind zu begreifen, außerdem weiß er so viel und kann einfach alles: Zum Beispiel sich nach den Vorträgen ans Cembalo im Foyer setzen und mit Stücken von Couperin galant und eigenhändig durch den Rest des Abends geleiten.
Auch das nächste Picknick, so Frömmel, soll die Öffnung der Expertenwelt nach außen vorantreiben und ein Thema von öffentlichem Interesse behandeln. Die Problematik der Sonnenbestrahlung vielleicht, oder etwa so: „Rund um den Hautkrebs“.
Das „Forschungspicknick zum Thema Alkohol“ hat Frömmel jedenfalls einen vollen Hörsaal beschert, es waren also 160 Personen da. „Ich tippe auf zwanzig Leute von außerhalb, der Rest Mitarbeiter und Studenten.“ Und hier im Klinikum dürfe man es ja sagen, meint Frömmel: Schon der alte Virchow plante „für einen ordentlichen Rausch“ zwei bis drei Flaschen Wein ein. Pro Person, versteht sich. Margret Steffen
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