Luciana Castellina in Berlin: Besuch einer alten Dame

Die legendäre Mitgründerin von „il manifesto“, der linken Tageszeitung Italiens, war in Berlin und machte der taz ihre Aufwartung.

Screenshot: Aus dem Film „Luciana Castellina, comunista“

Das Schöne an Haltung und guter Erziehung ist: Sie färben ab. Wenn Luciana Castellina einen Raum betritt, wenn sie auf Italienisch oder in ihrem gewählten Deutsch etwas sagt – und sei es nur, dass sie sich bedankt, an der morgendlichen taz-Redaktionskonferenz teilnehmen zu dürfen, und die Bitte äußert, man möge ein wenig langsamer sprechen als sonst –, dann werden alle wacher und höflicher: Sogar an einem trüben Dienstagmorgen im November.

Italienische Kommunistin

Luciana Castellina ist 84. Und sie ist großartig. Und Kommunistin, in einem sehr italienischen Sinne. Am Sonntag vor zwei Wochen sprach sie im Berliner Kino Babylon vor gut gefülltem Haus. Sie saß auf dem Podium - und stellte dem Publikum Fragen. Vorher hatte man einen Film über Luciana Castellina sehen können, der mit dem schönen Dialog der Generationen, zwischen Enkel und Großmama, einsetzt: "Oma, stimmt das, dass du Kommunistin bist?" - "Ja klar, Vito. Auch dein Opa ist Kommunist." – "Opa? Nein, Oma, das kann nicht sein! Opa ist doch so nett."

Nett konnte die harte politische Kämpferin, die Abgeordnete und Funktionärin Luciana Castellina durchaus auch sein, Ende der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Da erhielt nämlich die Redaktion ihrer Zeitung il manifesto regelmäßig Besuch aus Frankreich – von Libération – und aus Deutschland, von Gründungsmitgliedern der taz, unter ihnen ihr Geschäftsführer Karl-Heinz "Kalle" Ruch.

Internationales Interesse

Die Kollegen aus dem Ausland interessierten sich im Allgemeinen dafür, wie man eine alternative Tageszeitung machen könne. Die Leute in der Gruppe von il manifesto hatten das Schweigen der Kommunistischen Partei Italiens (PCI) zum Prager Frühling, zum Einmarsch der Truppen der Sowjetunion und ihrer Verbündeten in die damalige sozialistische Tschechoslowakei nicht mehr hinnehmen wollen, waren aus dem PCI ausgeschlossen worden und hatten 1971 den Sprung ins journalistische Tagesgeschäft gewagt.

Im Speziellen waren die Gäste an einem System der elektronischen Datenübertragung interessiert, das in Deutschland sich nur Zeitungen mit großen Buchstaben leisten konnten, das in Italien aber vom Staat subventioniert wurde. Und ihnen wurde geholfen. Heute haben die großen Namen il manifesto den Rücken gekehrt, eine neue Mannschaft versucht seit Anfang 2013, die Tradition einer unabhängigen linken Tageszeitung fortzuführen.

Ein historisches Gedächtnis

Doch Menschen wie Luciana Castellina haben ein historisches Gedächtnis; und so ließ sie über den ehemaligen Deutschlandkorrespondenten von il manifesto, Guido Ambrosino, anfragen, ob ein Besuch in der taz spontan möglich wäre. Er war es. Und wenn man sich ein wenig geschämt hatte, dass an einem hektischen Tag mit dünner Besetzung keine Zeit war für ein ausführliches Interview mit ihr, so wandte sich das Blatt sehr schnell: Denn wieder war es die linke Grande Dame, die wissen wollte: wie es der taz gehe, wie die Genossenschaft laufe, wie politische Konflikte innerhalb der Redaktion ohne Abspaltungen gelöst würden.

Und dann war da noch ihr Fingerzeig auf eine Meldung über Volksabstimmungen und ein Flüstern: Müsste das nicht der Aufmacher von morgen werden? Er wurde es.

Ambros Waibel