Fehler in der Politik

■ Mit welchen Mitteln der „Tagesspiegel“ nach Urhebern eines Druckfehlers fahndet

In Berlin ist der Tagesspiegel vor allem für drei Dinge bekannt: die etwas tranigen Politikberichte, einen Lokalteil, der sich noch liebevoll dem Käsekuchenwettbewerb der SPD in Tempelhof widmet, und schließlich für die notorischen Druckfehler. Die sind das Lieblingsthema der Leserbriefschreiber, aber in der Redaktion kümmert es niemanden recht, wenn es monatelang immer wieder „Standart“ statt „Standard“ heißt.

Alle drei Dinge hat sich der seit Januar amtierende Chefredakteur Giovanni di Lorenzo vorgenommen mit aller Macht zu beseitigen – und mit neuen teuren Redakteuren. Doch nur die Druckfehler versucht di Lorenzo mit kriminalistischem Gespür zu eliminieren.

In der Redaktion erzählt man sich sogar, daß der Chefredakteur nun wegen eines Fehlers die Polizei in die Redaktion geholt habe. „Darüber möchte ich noch nicht reden“, sagt di Lorenzo dazu nur. Die Polizei einzuschalten, „das behält sich der Verlag jedenfalls vor“. Intern wurde bereits gefahndet: Wer drückte am Spätnachmittag des 28. Juni dort das „e“?

Klar ist nur, was am nächsten Tag auf Seite 1 stand, wo der Verlag eine Abopreiserhöhung zu rechtfertigen suchte: „Im vergangenen Jahr hat der Tagesspiegel sein Leseangebot um neue publizistische Formen erweitert und auch eine Vielzahl neuer, nehmhafter Journalisten gewinnen können.“

Verlag und Chefredaktion tobten. „Das war ein Akt von Sabotage“ schäumt di Lorenzo. Es gebe „ein großes Interesse der Gesamtredaktion“, den Täter zu finden. Zuerst wurde der Rechner ausfindig gemacht, auf dem während der Produktion die kleine Änderung eingefügt wurde: ein Gerät aus der Inlandsredaktion. Dann versuchte die Chefredaktion ermitteln zu lassen, wer sich in das Redaktionssystem eingewählt hatte. Doch der Übeltäter hatte ein Praktikanten-Log-in benutzt. Also widmet man sich nun der Tastatur.

Zwar wird im ganzen Haus über die Posse geredet, aber wer bei Tagesspiegel-Redakteuren nachfragt, sieht sich mit ungewöhnlichen Schweigegelübden konfrontiert: „Das ist delikat“, sagt einer, „superlativisch delikat.“ Aber: „Ich kann dazu nichts sagen.“ „Ich bin ängstlich“, sagt ein anderer, „ich habe allen Anlaß dazu.“ Und: „Gewisse Dinge haben einen verschatteten Hintergrund.“

Obwohl in dem grauen Westberliner Nachkriegsbau nun geredet wird wie in einem Krimi: Es ist nur eine normale Redaktion, die mit lauter ungewohnten Veränderungen konfrontiert wird. Plötzlich haben sie einen Chefredakteur, der verständliche Überschriften verlangt und meterlange Textanfänge geißelt. Plötzlich werden sie vom Chef auf das Verlagshausdach zum italienischen Buffet geladen. Jahrelang durfte dort keiner hin, außer den ständig wechselnden Chefredakteuren zum stolzen Einstandsfoto. Motto der kleinen Party: „Wir wollen hoch hinaus“.

Doch einige gerade der altgedienten Redakteure haben den Eindruck, daß sie nicht mitsollen oder auch –wollen, wenn di Lorenzo aufsteigen will. Die neuen Redakteure, die der Chef u. a. von Süddeutscher Zeitung, FAZ oder taz holte, verdienen deutlich mehr als manch Altgedienter. Manchem Jungredakteur stockte di Lorenzo kurzerhand das Gehalt auf. So etwas löste schlechte Laune aus in der Redaktion, in der Personalpolitik, wenn, dann nur nach den Methoden staatlicher Verwaltung betrieben wurde. „Es gibt eine weitverbreitete Anti-Stimmung“, erzählt einer der Neuen – auch, weil di Lorenzo sich anfangs mit seinen Einkäufen isoliert habe. Daß viele Redakteure gehen – u. a. die Wirtschaftschefin und ein Politikmann zur geplanten deutschen Financial Times, eine Autorin zur FAZ, habe nichts mit der Stimmung zu tun.

Dabei hat di Lorenzo alles getan, die Altgedienten ruhigzuhalten. Lauter Zusatzposten wurden geschaffen, damit alte Unterchefs auf den ihren sitzenbleiben durften: Nun gibt es einen Koordinator und einen Ressortchef für Politik, einen Leitenden Redakteur und zwei Verantwortliche für Meinung. Zum Wolfgang-Schäuble-Interview erschien das Blatt mit fünf Redakteuren. Es gibt also noch viel zu tun beim Tagesspiegel. Wenigstens hat sich die Sache mit den Druckfehlern spürbar gebessert. Lutz Meier