■ Pampuchs Tagebuch
: Die Welt gegen den Weltmeister

„Da hätte sich Zukertort auch gefreut“, pflegte mein alter Onkel Bruno immer zu sagen, wenn mir beim Schach mit ihm – mittwochs in Steglitz – mal ein guter Zug gelang. Er meinte den großen Schachmeister des 19. Jahrhunderts. „Is nich undumm“, murmelte er manchmal bei einem meiner kecken Angriffe, und dann freute ich mich immer – bis ich nach etwa einem Jahrzehnt begriff, was hinter diesem abgefeimten Satz wirklich stand. Am lustigsten aber wurde es, wenn er den Berliner Klassiker „Nu wird er kiebig“ brachte. Dann erreichten wir Höhepunkte des edlen Wettstreits. Zwei Drittel unserer Partien gewann er. Wenn er Weiß hatte, war Onkel Bruno praktisch nicht zu schlagen, weil er in fünfzig Jahren Schachpraxis immer nur die „preußische Eröffnung“ spielte und da so ziemlich alle Varianten kannte. Nur wenn ich Weiß hatte und ihn mit irgendwelchen schrägen, aus dem Schachbuch abgekupferten Eröffnungen überfiel, geriet er manchmal in die Enge.

Das alles ist lange her, und seit Onkel Bruno tot ist, habe ich das königliche Spiel ziemlich vernachlässigt. Doch was erfahre ich da plötzlich? Unter der Adresse www.zone.com/kasparov wird jedem, der sich berufen fühlt, die Ehre zuteil, gegen Garry (hieß der nicht mal Gari?) Kasparov, den Weltmeister, zu ziehen. Da kommen mir doch gleich die alten Berliner Zukertortschlachten wieder in den Sinn. Mein Kistchen tuckert ein bißchen, und schon öffnet sich großartig die Seite „Kasparov vs. The World – presented by First USA“! Unter „Meet Kasparov“ erklärt uns der Meister: „Schach gehört ins Internet.“ Und von den Veranstaltern werden wir eingeladen „part of the greatest online challenge ever“ zu sein.

Wer will da abseits stehen? Die Schlacht tobt schon seit acht Zügen. Geschwind baue ich mein Brett auf. Der Größe des Augenblicks angemessen, nehme ich nicht mein altes Wachstuch mit den klassischen Figuren, sondern mein Souvenirspiel aus Peru, wo die weißen Steine Konquistadoren und die schwarzen das ruhmreiche Inkaheer darstellen – mit Lamas als Springer. Da wird der schauen, der Garry. Dann spiele ich nach, um auf den aktuellen Stand zu kommen. Garry hat mit e4 begonnen, wir (die Welt) haben sizilianisch (c5) geantwortet. Dann ist es geschwind zu einem Läufertausch gekommen und munter vorangegangen (Nf3 d6; Bb5+ Bd7; Bxd7+ Qxd7; c4 Nc6; Nc3 Nf6; 0–0 d4 ... die Notation ist englisch, aber daran gewöhnt man sich). Nach unserer Bedenkzeit von einem Tag haben wir (die Welt) heute dann mit dem offensichtlichen cxd4 geantwortet. Das haben schließlich auch alle beteiligten „analysts“ empfohlen, übrigens lauter junge Genies – darunter der deutsche Jungstar Elisabeth Pähtz. 85,28 Prozent der „votes“ waren dafür, den Bauern zu schlagen, und wir stehen nicht schlecht da. Nun ist Garry wieder dran. und der hat zwei Tage, zu überlegen.

Zugegeben, mit Onkel Bruno war es irgendwie gemütlicher. Schneller auch. Aber es hat was, im Weltteam gegen den Weltmeister anzutreten. Seit dessen Pleite gegen den Computer „Deep Blue“ waren wir Schachspieler ja doch etwas verunsichert. Ich selbst habe einmal in meinem Leben gegen so einen Billig-Schachcomputer gespielt und prompt verloren. Nie wieder. Maschinen sind scheußliche Gegner. Da lobe ich es mir doch, gegen einen würdigen Spieler aus Fleisch und Blut anzutreten, selbst wenn wir verlieren. Den Computer nutzen wir nur als gehorsame Magd, um die Kommunikation zu organisieren. Und da Garry nicht die „preußische Eröffnung“ gespielt hat, bestehen doch echte Chancen. Übermorgen, liebe Welt, da werden wir kiebig! Thomas Pampuch

ThoPampuch@aol.com