: Hauptbahnhof als Hängepartie
■ Das Projekt „Stuttgart 21“, die fünf Milliarden Mark schwere Verlegung des Hauptbahnhofs unter die Erde, ist ins Stocken geraten
Stuttgart (taz) – Im fünften Stock des Turmes im Stuttgarter Hauptbahnhof klingt und swingt es. Auf Videowänden entsteht virtuell ein neuer, futuristischer Bahnhof unter der Erde, darüber – hinter dem alten Bahnhofsgebäude, dem denkmalgeschützten Bonatz-Bau – ein großer, neuer Platz statt alter Gleise und eine nagelneue Innenstadt: das Projekt „Stuttgart 21“, stolze fünf Milliarden Mark schwer.
Die Rahmenverträge zwischen Deutscher Bahn AG, Bund, Land und Stadt sind seit 1995 unter Dach und Fach. Einen Ausdruck von Größenwahn und Gigantomanie schalten Kritiker das Bauprojekt, das vor allem aus Grundstücksverkäufen des oberirdischen Bahngeländes finanziert werden sollte. Nun wird es vielleicht nur ein Traumgebilde bleiben für die baden-württembergische Landeshauptstadt im Nesenbachtal, die doch so gerne Metropole wäre.
Seit Monaten wackelt das Jahrhundertprojekt „Stuttgart 21“ unübersehbar. Die Schwabenconnection, einst geschmiedet von Landesvater Erwin Teufel (CDU), dem damaligen Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel (CDU), Verkehrsminister Matthias Wissmann (CDU) und Bahnchef Heinz Dürr, ist zerbrochen. In Bonn regiert Rot-Grün. Die Bahn hat AG hat wenig Geld und dringlichere Probleme. Dürr ist abgelöst. Nun sitzt sein Nachfolger Johannes Ludewig als Bremser in Frankfurt und denkt darüber nach, welche der 25 geplanten „21-Projekte“ der Bahn ganz gestrichen, abgespeckt oder ins nächste Jahrtausend verschoben werden können. Am Dienstag verbreitete ein Bahnsprecher, sein Unternehmen sehe keine Möglichkeit, das Projekt samt der geplanten Schnellbahntrasse Ulm – München, die selbst von vehementen Gegnern des Bahnhofumbaus als wichtig für die Region akzeptiert worden war, „auf einen Schlag zu verwirklichen“. In einem Spitzengespräch zwischen Vertretern des Landes, der Stadt und der Bahn sei man sich aber einig gewesen, daß das Projekt grundsätzlich weiterverfolgt werden soll.
Immer wieder hatte Rommels Nachfolger, Wolfgang Schuster (CDU), beteuert, das Vorhaben, den Kopfbahnhof achtgleisig unter die Erde zu verlegen, sei gesichert. Mit dem Segen der meisten Stadtverordneten, Grüne und „Republikaner“ ausgenommen, bescherte er der Landeshauptstadt die Aussicht auf die zweitgrößte Baustelle der Republik und verglich Stuttgart stolz mit Berlin. Ein riesiges Einkaufszentrum, überdachte Ladengalerien, drei neue Hochhäuser, Wohnungen, Büros, Fitneß- und Freizeitzentren, Kinos, die neue Stadtbibliothek, Arkaden und Plätze, „Erlebnisraum mit Gleisanschluß“. 24.000 Arbeitsplätze sollten geschaffen werden. Baubeginn sollte 2001 sein, 2008 sollten die ersten Züge durch den neuen Bahnhof rollen.
150 Millionen Mark haben Planungen und Ausschreibungen bisher gekostet. Der renomierte Düsseldorfer Architekt Christoph Ingenhoven bekam den Zuschlag. Eine Vermarktungsfirma für den ersten Bauabschnitt war schnell gefunden. Die Düsseldorfer Bauträgergesellschaft Medienconsult machte dann auch die ersten Probleme. Sie fand kaum Investoren für die „Galeria Ventuno“ auf dem Bauabschnitt A, geplanter Baubeginn 1999. Medienconsult blieb der Bahn im Dezember die erste Rate der 175 Millionen Mark für das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs schuldig. Die Eröffnung des Konsumtempels wurde erst einmal um ein Jahr verschoben. Auch die Grundstücke der Abschnitte B und C gingen nicht gerade weg wie die warmen Semmeln, obwohl Schuster sie in New York und auf der weltgrößten Immobilienmesse in Cannes selbst angebot wie ein Spätzlehändler.
Der Oberbürgermeister, der bis dahin immer wieder auf die schon Schlange stehenden Investoren verwiesen hatte, machte in den letzten Monaten eine Kehrtwende. Er suchte Abhilfe und gewann vor allem Interessenten aus den eigenen Reihen. Die Landesbank und die städtischen Verkehrsbetriebe meldeten Interesse an. Schuster pries nun die Möglichkeit, daß die Stadt sich selbst einkaufen und so mustergültig Einfluß auf die Bebauung nehmen könne wie in alten Bauhaus-Zeiten, als Stuttgart noch den Ruf des „Tales der Architekten“ hatte. Zur Finanzierung des Ankaufs könnten andere städtische Liegenschaften in Bahnhofsnähe veräußert werden. Im Mai entschied das Stuttgarter Stadtparlament sich dafür, selbst zu kaufen. Der Gemeinderat genehmigte 380 Millionen Mark für die Grundstücke. Selbst moderate Kommentatoren redeten in der Lokalzeitung Klartext: „Die Galeria wackelt, und ansonsten haben bisher nur öffentliche und halböffentliche Unternehmen zugegriffen.“
Nun soll eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Land, Stadt und Bahn die Realisierung des ersten Teilabschnitts prüfen. Ergebnis offen. Heide Platen
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