„Die hatten Spaß daran zu töten“

Bevor sie dieses Wochenende zum letzten Mal in Hamburg zu sehen ist, besuchen Schülerinnen und Schüler die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht“  ■ Von Peter Ahrens

Als Nicolas, Gunda, Lena und die anderen geboren wurden, war der Zweite Weltkrieg seit fast 40 Jahren vorbei. Bei Krieg denken sie an das Kosovo, vielleicht noch an Bosnien, bestimmt nicht an Stalingrad oder Lidice. „Wir haben nicht mehr so den Bezug dazu“, sagt Gunda. „Für unsere Generation ist das alles nicht mehr so nah.“

Nicolas, Gunda, Lena und die anderen vom Hamburger Gymnasium Corveystraße stehen vor alten Schwarzweiß-Photographien. Sie sehen erhängte Menschen, Genickschüsse, Leichen. Alle säuberlich aufgereiht. „Erst durch diese Bilder wird mir das alles so richtig klar“, sagt Nicolas, und meint, was es heißt, „wenn 500 Juden auf einen Schlag umgebracht werden“. Es ist die letzte Woche der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1940 bis 1944“ in Hamburg. Auch hier, in der Stadt, in der die Dokumentation der Verbrechen zusammengestellt wurde, nennen alle sie Wehrmachtsausstellung.

„Es war spaßig“, hat irgendeiner ins Gästebuch der Ausstellung geschrieben. Hoffentlich nur ein mieser Witzbold. Er gehört zu den Ausnahmen. „Die Stimmung in der Ausstellung ist allgemein sehr ruhig und gefaßt“, sagt Sigrun Angermann, die das Ausstellungsbüro in der Akademie der Künste leitet. Sie selbst wirkt an diesem Vormittag nicht allzu ruhig. Es ist heiß, es ist voll, die Luft ist stickig, hier im dritten Stock in der alten Markthalle am Deichtorplatz. Vor Sigrun Angermann steht ein Lehrer, dessen Kopf vor Wut und Wärme rot angelaufen ist. Seine Schulklasse ist nicht angemeldet, also hat sie auch keine Chance eingelassen zu werden und eine Führung zu ergattern. Da muß Angermann die Torwächterin spielen. Der Andrang gerade von Schulklassen ist in der Schlußwoche so groß, daß nur noch diejenigen die Ausstellung besuchen dürfen, die sich rechtzeitig angesagt haben.

Auch so ist es eng genug. Drei Schulklassen werden gleichzeitig durch die Räume geführt. Auch die Klasse von Hildegard Wacker vom Gymnasium Corveystraße. „Hier soll kein Gesamtbild der Wehrmacht vermittelt werden“, erläutert Annette Kretzer, und die 16jährigen Mädchen und Jungen hören aufmerksam zu. Kretzer hat Geschichte studiert und verdient sich mit den Führungen etwas Geld dazu. „Frau Führerin“ witzelt ein Schüler und grinst. Annette Kretzer überhört das und macht weiter: „In dieser Ausstellung geht es nicht um Schuld oder Unschuld, sondern um die historische Wahrheit.“

Die historische Wahrheit der Texte und Fotos – in Hamburg wird sie nur von den wenigsten BesucherInnen angezweifelt. 35.000 Menschen haben sich die Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung auf ihrer Abschiedsstation in Deutschland angesehen. 35.000 Menschen, das sind eine ganze Menge. Da sind die Räume meistens voll, und trotzdem ist es fast immer bemerkenswert still. Turbulent wurde es nur an dem Tag, als der rechte Geschichtswissenschaftler Karl-Heinz Schmick auftauchte und versuchte, mit Zwischenrufen zu stören. Sigrun Angermann mußte ein Hausverbot aussprechen. Es blieb bisher das einzige.

Ansonsten bleibt das politische Getöse draußen vor der Tür. Hier drinnen spielen rechte und linke Demonstrationen keine Rolle. Hier sind die Leute aufmerksam. Erschießungen, Hinrichtungen, Folter. Die Bilder machen wortlos. Daneben stehen Wehrmachtssoldaten, die fürs Familienalbum in die Kamera lächeln. Angesichts dieser Bilder winkt hier so gut wie niemand ab und behauptet: Fälschung.

Die Schulklassen hören über eine Stunde, manchmal zwei Stunden am Stück von den deutschen Verbrechen, vom verlogenen Mythos der sauberen Wehrmacht, von den Massakern deutscher Soldaten in Serbien und Weißrußland. Zu lang für diesen Vormittag. Die Aufmerksamkeit bröckelt mit der Zeit. Einige fangen an zu gähnen, sich zu knuffen, die Cola-Dose wird herausgeholt. Ein Mädchen sagt: „Ich hab jetzt echt keinen Bock mehr. Da gehe ich lieber in die Schule.“

Auch die SchülerInnen von der Corveystraße tun sich schwer zu folgen. Nur ein paar bleiben bei der Sache, hören zu, fragen nach. „Das ist an sich eine Klasse, mit der man in eine solche Ausstellung gehen kann“, sagt Lehrerin Wacker. „Aber unter diesen Bedingungen ist das natürlich schwierig.“ Eine Schülerin kippt um, wird nebenan im Büro mit Wasser und kalten Umschlägen wieder aufgepeppelt.

Nebenan macht die Koblenzer Künstlergruppe Krex eine Aktion. Sie läßt sich die Meinungen über die Ausstellung von BesucherInnen auf Pappschilder schreiben und läuft anschließend damit durch die Stadt. Einer hat draufgeschrieben: „Alle haben es gewußt. Man konnte zuschauen oder wegschauen.“ Ein anderer findet: „Befehl ist Befehl.“

Am nächsten Morgen in der Schulklasse steht die Nachbearbeitung auf dem Stundenplan. Wer glaubt, hier auf Desinteresse oder jugendliche Coolness zu stoßen, liegt falsch. Die Finger sind fast die ganze Schulstunde oben. Die Lehrerin muß wenig tun. Das Gespräch kommt nie ins Stocken. Für Lena war es am erschreckendsten, daß einige Soldaten „offenbar richtig Spaß daran hatten, zu töten und zu quälen“. David findet, daß „man als Deutscher im Ausland immer wissen muß, was die eigenen Vorfahren für Mist gebaut haben“. Gerade für Soldaten der Bundeswehr sollte es Pflicht sein, sich das anzugucken, damit „die immer im Gedächtnis haben, was Deutsche in Serbien angerichtet haben“. Und Gunda meint, es sei empörend, „wie das alles in der Nachkriegszeit unter den Teppich gekehrt wurde“.

Die 16jährigen reden Klartext, unbelastet von den Päckchen, die ihre Großeltern oder Eltern mit sich herumschleppen. Christiane sagt: „Man muß das ja irgendwie geschichtlich begreifen, sonst müßte man jedes Mal anfangen zu heulen, wenn man dran denkt.“ Als sie am Ende der Stunde ihre Sachen einpackt, ist Hildegard Wacker ein bißchen stolz. „Das sind einfach tolle Schüler“, sagt sie zufrieden. Und fügt nach einem kurzen Zögern hinzu: „Es gibt natürlich auch andere Klassen.“

Morgen geht die Wehrmachts-ausstellung zu Ende. Sie wandert dann in die USA. Sigrun Angermann wird sich ab Montag anderen Dingen zuwenden. Für sie steht fest: „Eine Ausstellung, die so viel bewegt hat, wie diese, muß erst einmal wieder gemacht werden.“