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Ausgerechnet Garbage!

Kirmes-Disco in Gotham City: Wie die Alternative-Rocker dem ansonsten etwas träge startenden Jazzfestival WestPort einen ersten Höhepunkt geschenkt haben  ■ Von Felix Bayer

Na toll, die Sonne scheint, und man könnte sich hundert schönere Sachen vorstellen, als sich in ein aufgeheiztes Zelt zu stellen, um sich ausgerechnet ein Konzert von Garbage anzuschauen: der Band, die für die Kirmes-Disco in Gotham City erfunden zu sein scheint. Drei vierzigjährige Studiobuffos in schwarz, die beim MTV-Gucken eine Sängerin entdeckt haben, die sie für die Vamp-Rolle passend hielten. Und das erste, was man auf dem Weg zum Platz vor den Deichtorhallen hört, ist ein Schlagzeugsolo. Ein verkorkster Spätnachmittag scheint einen da zu erwarten. Na toll.

Doch dann kommt alles etwas anders. Das Schlagzeugsolo kommt von den Cucumber Men, die zwar blöden Funk-Rock spielen und bei der Bandgründung beschlossen haben müssen, möglichst oft mit nacktem Oberkörper in der Öffentlichkeit aufzutreten, aber komischerweise rocken sie mit einer solchen vorgruppenuntypischen Euphorie, daß man sich dabei ertappt, höflich zu applaudieren. Heiß ist es tatsächlich in dem beeindruckend großen Zelt, aber ein Zigarettenhersteller hat Fächer ausgelegt – ein Hoch aufs Kultursponsoring! Barpersonal und Sicherheitsdienst sind freundlich, irgendwas ist hier anders als im normalen Rockclub.

„Das ist das erste Mal, daß wir auf einem Jazzfestival spielen“, bemerkt Sängerin Shirley Manson, „aber egal, schön, daß ihr hier seid.“ Garbage konnten sich an überraschende Auftrittsanlässe gewöhnen, kürzlich spielten sie zur Eröffnung des schottischen Parlaments in Mansons Heimatstadt Edinburgh – im Publikum saß die Queen. Hier im Zelt hingegen sehen nicht einmal verirrte Jazzfans zu; ganz gewöhnliche Rockhörer sind es, die ihre 40 Mark abgedrückt haben, etwas alternative, etwas mehr Frauen als sonst, und etwas freundlichere Stimmung als sonst.

„Ist das nicht ein herrlicher Tag heute“, sagt Shirley Manson in ihrem reizenden schottischen Dialekt, „bloß schade, daß wir immer von so deprimierenden Sachen singen. Aber ich kann nicht anders.“ Genau das wurde von der Kritik immer bezweifelt: Garbage hätten die düsteren Stimmungen in ihren Liedern nach langwierigen Marktanalysen als Marktlücke entdeckt. Sie könnten alles spielen, aber „Darkness sells“ in den späten Neunzigern. Und das stimmt wahrscheinlich: Besonders getrieben sieht Shirley Manson nicht aus, wenn sie in Aerobic-Bewegungen über die Bühne hüpft. Besonders schwermütig wirken die Rockposen ihrer fitten Jungsenioren an den Gitarren nicht. Und der Schlagzeuger und Nirvana-Produzent Butch Vig hat sich nicht aus Angst vor den dunklen Mächten hinter Plexiglasscheiben versteckt, die sein Schlagzeug wie das Papstmobil aussehen lassen.

Aber heute ist diese gute Laune genau richtig. Shirley Manson klettert von der Bühne herunter, um den Fans zuzuzwinkern, die mit frenetischem Mitklatschen zu den Techno-light-Beats reagieren. Ja, Mansons Stimme wäre ohne die digitalen Effekte darauf nicht viel wert. Ja, die Gitarrenriffs sind unoriginell. Aber es ist erstaunlich, wie viele Lieder man wiedererkennt, ohne ein Fan der Band zu sein. Und es ist erstaunlich, wie schmissig die Refrains sind. Plötzlich bemerkt man dann, daß sich ein Dauerlächeln auf dem eigenen Gesicht breitgemacht hat.

„Stupid Girl“ beginnt mit einem Spice-Girls-Zitat, bei „Only Happy When It Rains“ regnet Glitzerkonfetti vom Zeltdach, vor „Push It“ dankt Shirley Manson den Fans für ihre Treue – das ist alles nur Showbusiness, aber so nett dabei! Und so mißversteht Shirley Manson die Zugabe-Rufe als „Zu Garbage“: „Heißt das etwa „Mehr Garbage“?“ Und das „ba-ba-ba“ von „When I Grow Up“ summt man noch vor sich hin, als man nach dem Konzert wieder aus dem Zelt kommt. Und siehe da: Die Sonne scheint immer noch. Genug Zeit, einige von den hundert Dingen zu tun, die man tun möchte an einem frühen Sommerabend. Der schön angefangen hat, ausgerechnet mit einem Konzert von Garbage!

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