Wege aus der Ohnmacht

Das Wohnhaus für Frauen in Altona wird 70 Jahren alt. Es hat sich bewährt als Schutzraum in Krisensituationen, als Entlastung und für konkrete Lebenshilfe  ■ Von Ulrike Bals

Erst kommt die Ohnmacht, dann die Wut. Der Zorn der jungen Frau schwillt an, bis er sie ganz erfüllt. Als der innere Druck übermächtig wird, zerschneidet sie sich mit einer Rasierklinge die Arme.

So erlebt Manuela Fielers, ambulante Betreuerin im Altonaer Wohnhaus für Frauen, die selbstzerstörerischen Agressionen ihrer Schützlinge. „Frauen gehen nicht raus und demolieren Autos oder schmeißen Scheiben ein“, meint die Sozialpädagogin. „Sie verkriechen sich in ihrem Zimmer, ziehen die Vorhänge zu und schlagen den Kopf an die Wand.“ Als Ursache für das Richten der Wut gegen sich selbst sieht Fielers vor allem gesellschaftliche Prägungen. Während Jungen schon früh lernten, sich zu wehren, würden Mädchen darauf getrimmt, immer lieb und brav zu sein. In einer männlich dominierten Welt sei dies jedoch die falsche Überlebensstrategie.

Daß es auch andere Wege gibt, den Druck abzulassen, ohne sich dabei selbst zu schädigen, zeigt das Wohnhaus für Frauen in Altona. Etwa ein Jahr erhalten Frauen in Krisensituationen in der sozialtherapeutischen Übergangseinrichtung Schutz, Entlastung und konkrete Lebenshilfe. Danach werden sie ambulant weiterbetreut und bekommen Hilfe bei der Wohnungssuche sowie der sozialen und beruflichen Eingliederung. „Jeder Mensch hat ganz unterschiedliche Stärken und Schwächen“, sagt Christine Wolff, seit 1992 Leiterin des Hauses. Es gehe darum, den Frauen ihre eigenen Ressourcen und Fähigkeiten bewußt zu machen, sie entsprechend zu fördern und zu fordern, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen.

In diesem Jahr feiert die Einrichtung ihr 70jähriges Bestehen. Den karitativen Trägerverein „Sozialdienst katholischer Frauen Altona“ gründete Agnes Neuhaus bereits 1924 „für die Verstoßenen des weiblichen Geschlechts“. Sie erkannte jedoch bald, daß Hilfe nur sehr begrenzt möglich war, solange die Betroffenen in dem Millieu blieben, in dem auch ihre Schwierigkeiten wurzelten. 1929 erwarb der Verein das Gebäude An der Johanniskirche 18 und richtete dort ein Mädchenheim ein. 1942 wurde es um das Nebenhaus und 1996 um eine ambulante Station in der nahegelegenen Max-Brauer-Allee 188 erweitert.

Im Laufe der Zeit haben sich äußere Anforderungen und innere Struktur der Einrichtung immer wieder gewandelt. Waren es anfangs soziale Probleme wie etwa verdeckte Obdachlosigkeit, die im Vordergrund standen, sind es heute überwiegend psychische Defekte. Von den Frauen, die bei den Pädagoginnen Hilfe suchen, haben viele ein zerstörtes Selbstvertrauen oder leiden unter Eßstörungen.

Häufig liegen die Ursachen in der Kindheit, ausgelöst durch Vereinsamung, Leistungszwang oder sexuelle Gewalt. „Wir versuchen, die Frauen da herauszureißen, ihnen zu spiegeln, wie das, was sie tun, nach außen wirkt“, sagt Fielers. Dieser feministische Ansatz zieht sich als roter Faden durch die Arbeit im Wohnhaus und ist auch heute noch das Kernstück der sozialpädagogischen Arbeit. Auch wenn Fielers bedauernd feststellen muß, daß die geschlechterspezifische Beziehungsarbeit von vielen Kollegen und Politikern oft nur noch müde belächelt wird.