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Bei Wind und Wetter draußen

■ Bullerbü statt Lila Kühe – der erste Farmkindergarten in Bremen hat sich durchgesetzt / Eröffnung im September

Manchmal möchte Astrid Ziemann wieder in den Kindergarten gehen. Dort ist es so ein bißchen wie Bullerbü: Spielen im Heu, ganz viele Tiere, Wald, Wasser und Wiesen. Ohne Spielzeug und vieles von dem, was man sonst in einem Kindergarten erwartet.

Dem Kindergartenalter ist die Mutter von zwei Kindern natürlich längst entwachsen: Astrid Ziemann gehört zu den Oranisatorinnen des ersten Bremer Farmkindergartens, der im September in Habenhausen eröffnet wird. Noch geht ihre Tochter Johanna zum Spielkreis, der sich zwei mal in der Woche auf der Kinder- und Jugendfarm trifft. „Das war eine ganz tolle Erfahrung“, sagt Ziemann. Aber wie sollte es für die Dreijährigen weitergehen? Anlaß für Astrid Ziemann im vergangenen Oktober eine Eltern-Initiative zur Gründung eines Farmkindergarten ins Leben zu rufen.

Vereinfacht klingt das pädagogische Konzept so: Statt einem festen Haus: Natur. Statt Spielzeug: ebenfalls Natur. Die Kinder sind die ganze Zeit in Freien. Auch bei Regen und Schnee. Im Notfall gibt es den Heuboden im Eselstall oder den eigenen Bauwagen. Gespielt wird nicht mit Lego, sondern mit allem was man draußen findet: Blätter, Stöcke, Pflanzen. Unendlich viel eigentlich.

Am Anfang waren manche Eltern skeptisch: Immer draußen? Bei Regen und Kälte? Doch die Bilanz war durchweg positiv. „Wenn wir die Kinder im Winter abgeholt haben, waren wir diejenigen, die gefroren haben. Die Kinder kamen mit ganz glühenden Händen zurück“, sagt Heike Arnold. Von Lungenentzündung, Dauer-Erkältungen und Schniefnase nichts zu spüren. Im Gegenteil: Die Abhärtung an der frischen Luft funktioniert: „Die Kinder sind total fit. Ihr Immunsystem ist richtig gestärkt.“ Letztlich bleibt alles eben eine Frage der richtigen Kleidung. Ein Zweitsatz Klamotten ist immer im Rucksack der Kids. Regensachen ebenfalls. Im Winter hilft ein Thermo-Anzug.

Der Eltern-Initiative geht es vor allem um eine Pädagogik, die Freiraum läßt für Kreativität, und ein Bewußtsein für die Natur und soziales Leben schafft. Die Kinder sollen hier ihren Bewegungsdrang ausleben können. Eine Mutter hätte sich für Sohn Yannik einen solchen Spielplatz gewünscht. „Der kam immer ganz geladen aus dem Kindergarten zurück.“ Ihre jüngste Tochter Seefke dagegen sei voll ausgepowert von dem Toben im Spielkreis, „sie ist viel ausgeglichener und konzentrierter“. Und während die Farmkinder ganz unbekümmert draußen frühstücken, „hat Yannik im Kindergarten gelernt, Becher und Teller ordentlich hinzustellen“.

Auch für viele Erzieher macht das Konzept Sinn: „Im Kindergarten haben wir die Matsche und die Kastanien ins Haus geholt. Warum läßt man sie nicht einfach da und geht mit den Kindern nach draußen.“ Denn das schult Sinne und Sachverstand. Lila Kühe kommen diesen Kurzen nicht in den Kopf. Statt dessen ziehen sie Gemüsepflanzen im Hochbeet und versorgen Kaninchen Daisy. Die vierjährige Johanna war ganz fasziniert von den Waldameisen – „da weiß sie mittlerweile mehr als ich“.

Die Kinder lernen auch mit Gefahren umzugehen. Abenteuerliche Klettermanöver auf dem Baum, Toben am Tümpel, Spielen mit Esel und Pony sind Alltag. „Meine Schwiegermutter dürfte das nicht sehen,“ schmunzelt Arnold. Sie selbst hat sich abgewöhnt Angst zu haben: „Die lernen, was sie sich zutrauen können und was nicht.“ Johanna zum Beispiel hatte immer Angst vor Pferden. Das hat sich geändert. „Jetzt läßt sie die Tiere aus der Hand fressen“, erzählt Astrid Ziemann.

Während solche Waldkindergärten in Niedersachsen und Schleswig-Holstein boomen, „gab es in Bremen bislang noch nicht einen einzigen“. Der Start war erstmal ein Kampf gegen Bürokraten-Windmühlen: „Die Behörden mußten ganz schön umdenken.“ Und hätte es in Obervieland nicht 120 Kindergartenplätze zuwenig gegeben, wäre aus dem Farmtraum sowieso nichts geworden.

Auf den ersten Info-Veranstaltungen befürchteten Arnold und Ziegmann noch, vor lehren Bänken zu sitzen. Unbegründet: „Es hat sogar eine Schwangere angerufen, die sich einen Platz sichern wollte.“ Ab Herbst beginnen 15 Kids das neue Kindergartenjahr auf der Kinder- und Jugendfarm. Die nächsten vier Jahre sind schon so gut wie ausgebucht. Dabei müssen potentielle Elternteile einiges mitbringen: Im Krankheitsfall müssen sie für eine der beiden Erzieherinnen einspringen. Morgendlicher Kakaodienst. Vor allem aber viel Wäsche waschen. „Die Kinder kommen pottendreckig nach Hause“, sagt Arnold. „Dreckig aber glücklich“, ergänzt Ziemann. pipe

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