piwik no script img

Alles mit sehr viel Dramatik

Vier Tage lang haben sich Bewohner des Wrangelkiezes in „Planungszellen“ Gedanken über ihr Quartier gemacht. Jugend und Arbeitslosigkeit sind die wichtigsten Themen. Ob sie bei Politikern Gehör finden, ist offen  ■   Von Nino Ketschagmadse

Die Lampen sind mit buntem Papier umwickelt. An den Wänden hängen riesige Papierbögen. 53 Stück sind es insgesamt. Darauf stehen Begriffe wie „Müll“, „Schule“, „soziale Mischung stimmt nicht“, „fehlende Ausbildungsplätze“, „Kriminalität“, „Verarmung“. Aber auch Positives wie „kulturelle Vielfalt“, „Flair“, „Nachbarschaft“ ist zu lesen. Bei manchen Begriffen häufen sich rote Punkte; je nach Wichtigkeit.

Es ist ungewöhlich, daß den Diskoraum in der 7. Oberschule in der Skalitzer Straße derartige Papiere schmücken. Doch der Raum dient an diesem Tag nicht dem Tanzen. Im Zimmer stehen zwanzig Stühle im Halbkreis. Mit Hilfe eines Moderators machen sich Frauen und Männer unterschiedlichsten Alters und Berufs Gedanken über ihren Stadtteil. Das einzige, was sie vereint, ist, daß sie alle im Kreuzberger Wrangelkiez leben und im Rahmen des Quartiermanagements mit 60 anderen Bürgern zu vier „Planungszellen“ zusammengewürfelt worden sind. Am vergangenen Freitag war ihr letzter Arbeitstag.

Das Quartiersmanagement im Kiez besteht seit April dieses Jahres. Ziel des vom Senat und dem Bezirk initiierten Projektes ist, gemeinsam mit den Bewohnern eine positive Entwicklung des Viertels voranzutreiben. In diesem Zusammenhang wurde ein Projekt der „Planungszellen“ erarbeitet. Die Teilnehmer wurden dafür per Zufallsprinzip ausgewählt. Sie sollten ihr eigenes Quartier bewerten und Verbesserungsvorschläge einbringen.

Autoren dieses Projektes sind die Infrastruktur Akademie Berlin und das Zentrum Technik und Gesellschaft der Technischen Universität (TU). 400 Personen wurden angeschrieben. 70 antworteten, hauptsächlich junge deutsche Männer.

Weil die Projektleiter aber auch Frauen und Ausländer ansprechen wollten, da der Anteil der letzteren im Wrangelkiez über 50 Prozent beträgt, wurden die Kandidaten erneut angeschrieben. Mit Erfolg. Nach dem zweiten Versuch entstanden gemischte Gruppen: Zu 50 deutschen Teilnehmern gesellten sich rund 30 Frauen und Männer nichtdeutscher Herkunft.

„Ich fand diesen interkulturellen Austausch wichtig“, sagt Valeria Borbonus, eine der TeilnehmerInnen an der Planungszelle. „Ich wohne zwar in direkter Nachbarschaft mit Türken, bekomme aber nichts von denen mit.“

Anfangs war sie unzufrieden mit der Organisation des Projekts. „Wir wurden durch die Themen gehetzt.“ Die zwanzigköpfige Gruppe sollte in vier Tagen über die Stärken und Schwächen des Quartiers: über Wohnen und Mieten, Zusammenleben, Schule und Jugend, Lärm sowie Erholung sprechen. Am letzten Tag sei es ihnen gerade noch gelungen, Verbesserungsvorschläge für die Politiker zu formulieren, die am Nachmittag zu ihnen kommen sollten.

Vural Hoisret hat Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache: „Ich habe so viele Ideen, aber ich kann nicht sprechen“, meint die 28jährige Mutter. Ihr und zwei anderen Türkinnen mußte eine Dolmetscherin helfen. Für Hoisret war diese Arbeit interessant und spannend, denn einen sicheren und sauberen Wohnort wünscht sie sich für ihre Kinder.

Hermann Borchart, Kreuzberger BVV-Vorsitzender und Mitglied der SPD, Petra Koch-Knöbel, Frauenbeauftragte im Bezirk, Barbara Oesterheld, grüne Abgeordnete im Landtag, Rainer Giesel (CDU) und die Quartiermanager Martin Thiel und Volker von Tiedelmann sitzen dann am Nachmittag verteilt an den vier Arbeitstischen. „Was können Sie konkret machen?“ lautet die erste Frage an Thiel und an Oesterheld. Weitere Fragenkomplexe sind die Themen Jugend, Ausbildungs- und neue Freizeitmöglichkeiten, denn es gebe keinen Treffpunkt, wo man sicher sein könne.

„Wenn die Probleme der Jugendlichen kein Gehör finden, dann wird die Jugend ihr Recht einfordern. Das gab es schon einmal in Kreuzberg“, erzählt Semih Kneip, der 38jährige Sozialarbeiter, über die Hausbesetzungen. „Dem Bezirksamt kann man nicht viel vorwerfen, die tun alles, was möglich ist. Es liegt an der Senatsverwaltung. 20 Lehrerstellen wurden gestrichen“, empört sich Kneip, „das ist tödlich für die Schulen.“ In manchen Klassen beträgt der Anteil von Schülern nichtdeutscher Herkunft über 75 Prozent.

Die Politiker versprechen nichts. Besonders unzufrieden sind die Teilnehmer mit CDU-Mann Giesel, der sich für diese Sache als nicht zuständig erklärt: „Ich bin hier, weil anscheinend keiner kommen wollte.“ Und auf Ablehnung stößt seine Meinung, die Eltern sollten die Klassenzimmer selbst renovieren, für die soziale Integration sei einzig der Schulleiter zuständig.

„Die Finanz- oder Schulsenatoren wären für uns die wichtigeren Gesprächspartner gewesen“, hieß es dann auch bei der Auswertung des Gesprächs.

„Viele der Teilnehmer leben schon lange hier und haben viel vom Kiez mitbekommen“, konstatiert Valeria Borbonus. Eine Vielzahl der angestrebten Initiativen sei bereits vor zehn Jahren vorhanden gewesen, aber zerstört worden. „Und heute wird versucht sie wiederaufzubauen, aber mit noch mehr Dramatik“, sagt sie.

Am Ende wandert die Adressenliste durch die Gruppe, es findet eine Vorstellungsrunde statt. Außer Namen wissen die Teilnehmer aber nur wenig voneinander. „Die Planungszelle ist nicht gedacht, damit sie als Gruppe auftritt“, erklärt Thomas Waldhubel, der Moderator, „Es ist keine Bürgerinitiative.“ Nur Meinungen von Einzelpersonen seien gefragt.

Valeria Borbonus findet es aber wichtig, daß die Teilnehmer einander und ihre Anliegen und Fähigkeiten kennenlernen. Dadurch könnten die Gleichgesinnten zusammenkommen, die etwas aus eigener Initiative machen wollen.

Gegen 16 Uhr ist die Arbeit zu Ende. In der letzte Phase des Projekts werden die Ergebnisse der Planungszellen zusammengefaßt und ausgewertet. Im September wird dann das Bürgergutachten erstellt und an die Verantwortlichen aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft übergeben.

Erschöpft und doch zufrieden sind die Ideenproduzenten. Abwarten, was passiert, heißt es jetzt für sie. „Es war toll“, sagt Valeria Borbonus. Sie weiß schon konkret, was sie für ihren Kiez machen kann. „Ich biete meinen Unterricht in Deutsch für die drei- bis sechsjährigen türkischen und arabischen Kinder an. Kostenlos oder für einen symbolischen Preis.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen