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Identität durch Entblößung

Rot wie Coca-Cola: Zeitgenössische chinesische Kunst wird auf der Biennale in Venedig klar umrissen als Einheit präsentiert. Dabei ist auch „der Traum von China“ mit der Globalisierung brüchig geworden  ■   Von Stefanie Tasch

„Tutti giapponesi“, alles Japaner, las die Dame mit zufriedener Na-bitte-ich-hab's-euch-doch-gleich-gesagt-Miene vom Schildchen des Exponats ab: „The Dream of China: Dragon Robe“, 1997, von Wang Jin, ansässig in Peking. Na prima, dachte man etwas entgeistert zurück, soviel also zu Harald Szeemanns Integration chinesischer Gegenwartskunst in den westlichen Kunstkanon.

Da lädt der Mann noch nie dagewesene achtzehn Künstler aus der Volksrepublik und verschiedenen Exilen zur Teilnahme an d‘Apertutto ein; Frankreich legt noch eins drauf und ehrt den seit 1989 dort lebenden Huang Yong Ping, indem man ihn, zusammen mit Jean-Pierre Bertrand, zum französischen Vertreter bei der diesjährigen Biennale ernennt; und re-sinisiert findet man denselben Huang in der Ausstellung „VOC – Handle with Care“ am Markusplatz wieder, wo er mit dem taiwanesischen Maler Yang Mao-lin die Kolonialgeschichte Asiens am Beispiel der Ostindischen Kompanie bedenkt – die Prigioni, das Gefängnis des Dogenpalastes, sind Schauplatz des taiwanesischen Pavillons, der in einer Dreimannschau Auskunft über den Stand der aktuellen taiwanesischen Kunst gibt ...

Ein Traum von China, in der Tat. Auf den ersten Blick ebenso transparent wie Wangs historisches Drachengewand aus Plastik, auf den zweiten ähnlich vielschichtig. Wo ein taiwanesischer Pavillon ist, da findet sich gewiß kein volksrepublikanisches Gebäude, das wohl auch eine andere Künstlerriege aufgeboten hätte als die nun in d‘Apertutto vertretene. Hongkong wiederum ist auf der Biennale gänzlich abwesend – warum auch immer.

Bei der Auswahl der Künstler lohnt sich der Blick auf die Biographie. Die Wohnorte zwischen Chengdu (Provinz Sichuan), Peking, Shanghai, Paris und New York spiegeln ebenso persönliche Lebenssituationen wie politische Realitäten: Die ältere Künstlergeneration mußte mit der Anverwandlung westlicher Positionen häufig auch die Emigration wählen; die jüngeren verdanken einer ziemlich relativen Offenheit der Volksrepublik gegenüber nicht-traditioneller chinesischer Kunst die Möglichkeit, im Land zu bleiben und dort die enormen Veränderungen in ihren Arbeiten zu reflektieren. Entsprechend unterschiedlich sind die Ausdrucksformen wie der Umgang mit der eigenen kulturellen Tradition: Während Künstler wie Cai Guo Qiang (von der Jury mit dem Internationalen Preis der Biennale ausgezeichnet) oder Chen Zhen in ihren monumentalen Installationen wieder und wieder die chinesische Tradition intellektuell wie materiell beschwören, richtet sich der Blick des Fotografen Zhuang Hui zum Beispiel ausschließlich auf eine Gegenwart, an deren visueller Befragung nichts spezifisch „Chinesisches“ ist.

Debatte über das Chinesische der Kunst

So wird die diesjährige Biennale mit ihrem Anspruch an die Ent-Nationalisierung der Kunst, der leider mit der Auszeichnung der italienischen Künstlerinnen ad absurdum geführt wurde, zu einem Nebenschauplatz in der Diskussion über das Chinesische an der chinesischen Kunst. In den Ausstellungen wird klar, daß die hartnäckige Verwirrung angesichts von Kunst jedweder asiatischer Provenienz meist schon beim Namen beginnt: Chinesische von koreanischen oder japanischen zu unterscheiden erfordert kaum mehr Mühe als die Unterscheidung von deutschen, dänischen und englischen Namen, verlangt aber etwas mehr Übung, wie an der Leichtigkeit zu hören ist, mit der uns Namen wie Nam Jun Paik oder Nobuyoshi Araki über die Lippen kommen.

Mit dem Namen und einem durch häufiges Ausstellen vertrauten Werk gewinnt der asiatische Künstler in den Augen westlicher Betrachter eine Individualität, die den meisten der d‘Apertutto-Teilnehmer noch nicht gegeben ist. Als „die Chinesen“ aber, eine anonyme, etwas befremdliche, auf jeden Fall aber fremd wirkende Reisegruppe aus jenem sagenhaften „Reich der Mitte“ werden sie zur „gelben Gefahr“, die die so schön geordnete Kunstwelt durcheinanderzubringen droht. Und das nach fast zehn Jahren Ausstellungsgeschichte im Westen, die allerdings meist auf eine rein landsmannschaftlich geordnete Präsentation Wert legte.

In Deutschland gab es zwei Versuche einer differenzierten Darstellung des Phänomens „chinesische Kunst“. Zum einen war es die Retrospektive „China Avantgarde“ (Haus der Kulturen der Welt Berlin, 1993), zum anderen „Die Hälfte des Himmels“ (FrauenMuseum Bonn, 1998). Die Existenz von Künstlerinnen bzw. explizit feministischer Kunst wiederum war nicht der einzige Aspekt, den die „China!“-Schau (Kunstmuseum Bonn, 1996) zugunsten einer ausschließlich auf den momentanen Effekt zielenden Präsentation ausblendete. Eine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit der dort gezeigten Malerei der „politischen Pop-art“ und des „zynischen Realismus“ fand dank ihres Populismus nach dem Motto: „Der Osten ist immer noch rot, aber es ist das Rot von Coca-Cola!“ nicht statt. Auch auf den Biennalen von 1993 und 1995 waren chinesische Künstler marginal vertreten, Harald Szeemann wählte einige Arbeiten für die Biennale in Lyon (1997) aus. Doch nun sollen die Zeiten der Inklusion tatsächlich anbrechen.

Dazu trägt der von Szeemann als hierarchiefreie „lange Promenade“, aber eben auch konzeptfrei konzipierte d‘Apertutto-Parcours nicht unbedingt bei. Es wurde ausgewählt, dann aufgereiht oder gegenübergestellt, was wenig miteinander zu tun hat (was ein Manko vieler Ausstellungen in China ist, egal, ob sie nun offiziell oder subkulturell sind). Im italienischen Pavillon erschlägt Wang Dus plastischer Brachialscherz zum Thema Tagespresse mit Figuren von Monica Lewinsky bis Jassir Arafat alles, was sich malerisch neben ihm zu behaupten sucht. Yang Shaobin und Fang Lijun konkurrieren dagegen auf engstem Raum mit Polke und Gertsch, wobei der minimale gemeinsame Nenner kontrastiver Inhalt, großes Format und Gertschs Verwendung von Japanpapier (sic!) zu sein scheint.

In den Corderie setzen sich derweil die Antipoden der Pekinger Performance-Szene der frühen 90er Jahre gegenseitig matt: Angesichts von Ma Liumings selbstverliebtem Mauer-Gang und Zhang Huans selbstquälerischen, aber nicht weniger narzißtischen Entblößungen bildeten sich zwar beständig Grüppchen, um die wohlgeformten Körper der Herren zu betrachten, aber es drängte sich die Frage auf, ob chinesische Performance-Künstler sich grundsätzlich nackt extremen Situationen aussetzen.

In China nicht weniger exotisch als im Westen

Die Antwort ist nein. Doch abgesehen von einigen wenigen Entscheidungen (Lu Hao, Liang Shaoji, Zhou Tiehai, Xie Nanxing) ging Harald Szeemann in seiner Auswahl kein größeres Wagnis ein als die Kuratoren vorangegangener Ausstellungen. Das ist um so bedauerlicher, ruft man sich die doppelte Marginalisierung chinesischer Kunst vor Augen. Überspitzt gesagt, sind die Künstler in China so exotisch wie im Westen. Die Ausstellungsmöglichkeiten sind aufgrund institutioneller, finanzieller und politischer Faktoren begrenzt; die Infrastruktur der Kunstwelt noch wenig ausgebildet. Es gibt in ganz China zwei ernstzunehmende kommerzielle Galerien, die Courtyard Gallery in Peking und ShanghART in Shanghai. Unabhängig vom Ort, sei es Museum, Kunstakademie, Galerie oder nicht institutioneller Raum, dauern Ausstellungen selten länger als ein paar Tage und werden von einem breiteren Publikum mangels Werbung und Berichterstattung kaum wahrgenommen. In Peking ist die Situation dabei deutlich besser als in Shanghai oder anderen Städten, dort hat sich mit den China Art Archives & Warehouse seit kurzem ein unabhängiger Kunstraum etabliert. Zudem verspricht die Einrichtung von drei privaten Museen für Gegenwartskunst (in Tianjin, Shenyang und Chengdu) und der Umzug des Shanghai Art Museum in neue Räume größere Sichtbarkeit für die Avantgarde. Vor diesem Hintergrund erklärt sich die enorme Bedeutung, die eine Plattform wie die Biennale für die Künstler hat.

Die in der Volksrepublik geführten Debatten über den Umgang mit dem Westen, der neuen Konsumgesellschaft und der schönen bunten Warenwelt sowie die ausdifferenzierte Wahrnehmung künstlerischer Gruppen- und Generationszugehörigkeiten werden in einer solchen Auswahl ignoriert. Westliche Vorurteile gegenüber einer Kunst, die derivativ sei, dabei aber stets kritisch und nie marktbewußt zu sein habe, werden in Venedig eher bestätigt denn abgebaut.

Am Ende möchte man sich, ohne gleich wieder die in Artikeln über China offenbar unabdingbaren Metaphern vom Großen Sprung und Langem Marsch zu bemühen, zumindest eines wünschen: daß der Weg zur Überwindung der Marginalität und heraus aus dem Sonderplätzchen als Exoten des Kunstbetriebs zukünftig über differenziertere Auseinandersetzungen führen wird.

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