: „Es ist kein reiner Studentenprotest“
■ Mariam Chansie, Oppositionelle aus Teheran, über Organisation und Führung der Aktionen
Es sind keineswegs ausschließlich StudentInnen, die sich hinter Forderungen wie etwa der nach Pressefreiheit versammeln. Mariam Chansie bezeichnet sich als „Hausfrau“. Ihr Mann ist vor zehn Jahren auf mysteriöse Weise um Leben gekommen. Sie glaubt nicht, daß es sich um einen Unfall handelte. Denn ihr Mann Ali Jan Chansie war in einer linksnationalen Gruppe aktiv. Frau Chansies Wohnung diente lange Zeit als Domizil der Studentenbewegung „Nationaler Bund der Studenten und Absolventen“, die sich vor kurzem gespalten hat. Sie hat während dieser Zeit oft Morddrohungen erhalten.
taz: Frau Chansie, wie geht es Ihnen?
Mariam Chansie: Mir geht es nicht sehr gut. Vor drei Tagen wurde ein Anschlag auf mich ausgeübt. Es kam nicht überraschend, trotzdem ist es nicht einfach für mich. Deshalb bin ich heute zu Hause. Freunde hindern mich daran, auf die Straße zu gehen, auch wenn es mir nicht leicht fällt.
Wer hat die Studentenbewegung organisiert? War das die Bewegung um den Studentenführer Tabarsadi oder der Nationale Bund der Studenten und Absolventen, der sein Büro bei Ihnen eingerichtet hat?
Keine von beiden. Unsere Studentenorganisation ist gespalten. Es waren aber auch nicht Tabarsadis Anhänger, die den Widerstand organisierten.
Wer war es denn? So eine Protestwelle kann doch ohne Absprache und Verständigung der Gruppen nicht stattfinden.
Zuerst waren es nur die Studenten im Stadtteil Amirabad. Sie haben um elf Uhr in der Nacht einen Sitzstreik organisiert. Um Mitternacht kamen die Hisbollah und haben alles kurz und klein geschlagen.
Waren Sie dort dabei?
Nein. Aber nach dem Vorfall haben die Studenten mich dorthin gebracht. Es war nichts heil geblieben. Sie haben Feuer gelegt und alles, was nicht verbrannte, zertrampelt. Die Manuskripte wurden zerrissen, es war kein Fenster heil geblieben. Die Studenten berichteten, daß alles, was wertvoll war, geplündert wurde.
Wie viele Menschen sind zu Schaden gekommenß
Viele. Die Hisbollah haben einige Studenten auf den oberen Etagen einfach aus dem Fenster geworfen. Manche, die das Vorgehen beobachteten, sind von allein gesprungen, um sich vor der Wut der Messerstecher zu retten.
Wie haben die Studenten auf diesen Überfall reagiert? Haben sie sich nicht verteidigt?
Doch. Es kamen immer mehr Studenten hinzu, die sie unterstützten. Aber sie sind entweder von den Hisbollah oder von den Sicherheitskräften angegriffen worden. Sie haben bestimmt gehört, daß vermutlich sechs oder sieben Menschen getötet wurden. Viele sind lebensgefährlich verletzt und verhaftet worden.
Meinen Sie wirklich, daß die weiteren Proteste ohne Studentenorganisationen zustande gekommen sind?
Es sind Organisationen dabei. Sie sind aber nicht maßgebend. Viele Studenten und Teilnehmer kennen die Organisationen gar nicht. Das, was vor der Universität stattfindet, ist auch kein reiner Studentenprotest. Es kommen immer mehr Menschen, die sich dort den Protesten anschließen. Es sind Hausfrauen, Arbeiter und Menschen aus verschiedenen Berufen. Interview: Nasrin Bassiri
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