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Ein Volk namens Canon

■ Einige volksnahe Beobachtungen beim Bremer Antrittsbesuch von Bundespräsident Johannes Rau und seiner in ihrer Ernsthaftigkeit beeindruckenden Frau Christina

Das Wort muß sich einer dieser Schreibtischtäter ausgedacht haben. Dieser fette schwitzende Zeitungsredakteur vom Schlipstyp „längste Krawatte der Welt“ – weil: muß ja um den Bauch rum – saß da und grübelte. Und dann zergelte sich dieser Hanswurst von Schmierfink und Auswuchs von Kollegensau, der für seine Kommentare aus den Texten anderer Leute abschreibt, für einen Leitartikel über die Wahl Johannes Raus zum Bundespräsidenten einen Begriff aus der Birne. Er schrieb: „Dieser Präsident ist volksnah.“

Das kommt davon, wenn man seinen Arbeitsplatz nicht verläßt. Und jeden Blick für die Wirklichkeit verliert. Ein Bundespräsident kann nämlich nie, nie, niemals volksnah sein. Für ihn, in diesem Fall Johannes Rau und seine bemerkenswerte und möglicherweise nicht wirklich volksnahe Frau Christina, die gestern nicht mal zwei Wochen nach dem Einzug ins Schloß Bellevue ihren Antrittsbesuch im kleinsten Bundesland hinter sich brachten, heißt das Volk Nikon, Canon, Sony und Betacam. Medien aus aller Welt (unter anderem taz und Faz, Privates Bremer Radio und Privates Niedersächsisches Fernsehen sowie Radio Bremen eins, zwei, drei und vier) verhageln dem allenfalls bürgernahen Johannes und der überaus beeindruckenden First Lady noch den kleinsten Rundgang durch die Bremer Innenstadt. Und das nur, weil ein strunzdoofer Hallodri von Adrenalinjunky einmal das Wort volksnah in eine Zeitung geschrieben hat. „Einmal bitte lächeln.“ Und Johannes Rau lächelt. „Einmal bitte hierhin gucken.“ Und Johannes Rau guckt da hin.

Nur Christina Rau, die ehrwürdige, allen Respekt verdienende Frau des Bundespräsidenten, lächelt höchstens ein ganz kleines bißchen. Vielleicht geht diese Enkelin der Bremerin (!) Hilda Heinemann wie Werdertrainer Thomas Schaaf zum Lachen in den Keller. Vielleicht war sie auch einmal Eisprinzessin. Aber auf jeden Fall macht sie, die als NRW-„Landesfürstin“ wenigstens in Hessen unerkannt einkaufen konnte, eine ernste Miene zum ernsten Spiel, weil sie auf Jahre hinaus nichts mehr vom Volk sehen wird als Nikon, Canon, Sony und Betacam.

Unmotivierter Themenwechsel.

An dieser Stelle erweitern wir den Begriff der „bezahlten Spaziergänger“ von ehemaligen Staatsräten auch auf amtierende Bundespräsidenten (sowie erste und zweite Bürgermeister, ehemalige Präsidenten des Senats, Ex-Vorsitzende von Regierungsfraktionen und pensionierte Senatoren). Antrittsbesuche eines Bundespräsidenten sind folglich Vereinstreffen bezahlter Spaziergänger (unter anderem Hans-Georg von Bock und Polach, Volker Hannemann, Klaus Wedemeier, Claus Grobecker, Claus Jäger). In einer schweißtreibend kurzen Rede sprach der Präsident („Ich denke jeden Morgen beim Tee trinken an diese stolze und schöne Stadt Bremen“) der Versammlung Mut zu. „Suche der Stadt Bestes“, hat er gleich nach den Spielern des SV Werder ins Goldene Buch geschrieben. Doch das Beste ist schon da. „Wir wollen raus aus der Nehmerrolle und der Bundesrepublik ein Beispiel für eine gelungene Sanierung sein“, sprach Bürgermeister Henning Scherf in einer perlig transpirierenden Rede. „Wir wollen zu den Flüchtlingen so sein wie zu den eigenen“ (Bibelfeste wissen: Das ist ein Bibelzitat). Deshalb werde die Internationale Universität Bremen gebaut (die wir an dieser Stelle Internationale Flüchtlingsuni, IFlUni, taufen). Und: „Wir können nicht die Schulen vergammeln lassen und gleichzeitig sagen, wir sind ein internationaler Standort.“ Für diesen – ähem, räusper – volksnahen Satz gab es viel Beifall. Außerdem kündigte Scherf „spektakuläre Nachrichten im Bereich Häfen“ an: „Im Containergeschäft haben wir nur noch einen Konkurrenten – das ist Rotterdam.“ Wie wird die Nachricht lauten? Sensationell: Bremen kauft Hamburg / Für 450 Millionen Mark wird Eurokai zu stadtbremischem Elbhafengebiet – schwitzende Kollegen aus der Redaktion für Politik und Häfen: Bitte übernehmen Sie.

Christoph Köster

P.S.: Laut Protokoll schenkten Frau und Herr Rau fünf von sieben Stunden Besuch der moppeligen Seestadt Bremerhaven (und hielten sich dabei keine zwei Stunden im stadtbremischen Hafengebiet auf) – wehe, die „Ossis“ des kleinsten Bundeslandes meckern noch einmal über Benachteiligungen!

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