piwik no script img

Vom Erdenbürger zum NetizenDie bittere Pille der Wahrheit

■ Eine eher emotionale Einführung in die Welt der neuen Netze in vermutlich zehn Folgen / Achte Lieferung: das Blind Date

Zur Erinnerung: Eines schlimmen Tages war der Autor wieder allein. Doch er wollte es nicht bleiben. Also machte der inzwischen zum regen Nutzer des Internet gewordene Single aus der Not eine Tugend. Er begann zu chatten, entdeckte Seiten mit Kontaktanzeigen, bekam bald E-Mails aus aller Welt. Und wenig später sollte er auf elektronischem Weg sogar seine Traumfrau finden. In der heutigen Folge verläßt er die virtuelle Welt und landet vor einem großen Appartementhaus irgendwo in Hamburg.

Etwas kam mir gleich seltsam vor. Ich war an diesem lauen Oktoberabend nach Hamburg gefahren, um mein erstes Blind Date hinter mich zu bringen. Katharina hatte eine Kontaktanzeige aufgegeben, ich hatte geantwortet, sie hatte wieder geantwortet. Und im Lauf der folgenden Wochen verging kaum ein Tag, an dem wir uns keine E-Mail schrieben. Eines Tages hatte sie mich eingeladen, gemeinsam mit ihr den Schritt aus der virtuellen Welt in die echte zu wagen und sie in Hamburg zu besuchen. Nun stand ich da vor diesem Wohnblock mit den schätzungsweise 80 Single-Appartements und studierte die Namensschilder auf den Briefkästen.

Ein Blind Date ist natürlich aufregend. Vor allem, wenn es das erste ist. Netizens mit dem halb unernsten und halb echten Bedürfnis, auf dem elektronischen Weg einer baldigen Vermählung entgegenzueilen, tauschen in ihrer Mail-Periode halbe Lebensgeschichten aus. Sie bezirzen sich, flirten, schmeicheln einander und schauen in ihrer Mailbox stündlich nach neuen Nachrichten. Aber der Schritt zur ersten Begegnung ist groß. Schluckst Du die rote Pille Wahrheit oder die blaue der aufrecht erhaltenen Illusion, lautet die Frage. Und die Wahrheit ist meistens bitterer als das liebgewonnene Trugbild.

Umwickelte Leserin, gespannter Leser: Sie haben mich um den Nachtrag gebeten, wie ich Katharina überhaupt zum Antworten verleitet habe. Die Tips, bei der Reaktion auf Kontaktanzeigen im Netz eine kleine Pointe zu setzen und einen selbstironischen Schlenker nicht zu vergessen, seien zu vage. Sie fragen mich nach dem Patentrezept, bei der ersten Antwort auf eine Netzkontaktanzeige als einer unter 50, 200 oder tausend überhaupt aufzufallen. Schlicht: Sie wollen endlich alle intimen Einzelheiten wissen. Gut. Doch ich muß sie warnen. Die Wahrheit ist nicht nur bitter, sondern oft auch witzlos.

Katharina hatte sich als Fluglotsin ausgegeben, die einer E-Mail samt ihrem Verfasser zur Punktlandung verhelfen will. Ich bezeichnete mich im „Betreff“ der spontan, also in 60 Minuten verfaßten Antwortmail als Pilot im näheren Luftraum. Ich schrieb: Gestreßte Fluglotsin, trotz Mailflut möchte ein Überflieger aus Norddeutschland nur mal eben wissen, ob dieser Service weiterzuempfehlen ist. Oder ist die Wahrheit doch anders? Hatte Katharina geschrieben: Vor Typen, die auf blonde Frauen stehen, kann ich mich nicht retten. Bloß ich stehe nicht auf Typen, die auf blonde Frauen stehen. Wenn Du mir gewachsen bist, dann ...? Oder war das Sabine aus PLZ-Region 27? Egal. Ich fand auch darauf eine Antwort. Henna-Fabrikant hilft! In einer solchen Situation kann eine Änderung des Typs empfehlenswert sein. Andernfalls kann ich (Fakten, Fakten, Fakten) Mikado. (Sie denken: Was für ein alberner und strunzdoofer Quargel? Zu meiner Verteidigung muß ich sagen, daß ich diese Antwort sozusagen gelallt und alle Tippfeler im Post lallum elegant mit der neuen Rechtschreibung entschuldigt habe. Außerdem hatte ich gewarnt! Machen Sie doch, was Sie wollen. Spielen Sie mit Ihren Marotten. Verheimlichen Sie nichts. Schreiben Sie, daß sie heimlich Schnecken quälen, unheimlich verheiratet und sowieso beziehungsunfähig sind!) Ende des Einschubs. Zurück nach Hamburg.

Wie gesagt, hatten Katharina und ich inzwischen sogar unsere Mail-Periode hinter uns. Wir hatten uns Gedichte geschrieben (ihre: entzückend und geistreich). Wir hatten uns Lebensgeschichten gemailt (ihre: außerordentlich spannend und voller Abenteuer). Wir hatten unsere Zukunftsvisionen ausgetauscht (ihre: beneidenswert, aber doch nicht ohne Gemeinsamkeiten). Wir hatten uns Fotos geschickt (ihre: bildschön). Sie können sich vorstellen, wie mir das Herz raste, als sie mich schließlich einlud und ich wenig später vor diesem Wohnblock mit den schätzungsweise 80 Single-Appartements irgendwo in Hamburg die Klingelschilder studierte. Doch wir hatten in der Vorbereitung eine Kleinigkeit vergessen: uns die vollen Namen zu sagen. Als sich der erste Schreck gelegt hatte, klingelte ich mal hier, mal da. Doch nach elf Wohnungsbesichtigungen gab ich auf, warf den Propeller an und flog nach Hause.

Christoph Köster

Lesen Sie (oder darf ich schon Du sagen?) in der nächsten Folge, unter welchen Umständen der Autor Katharina doch noch begegnen sollte und wie einem Happy end dieser Serie kaum noch etwas im Wege steht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen