piwik no script img

Gedankenfluß ohne Songformat

■ Ganz logisch ein Politaktivist: Jello Biafra, der Ex-Sänger der Dead Kennedys, sagt endlich mal, was er schon immer sagen wollte

Sieben Jahre war Jello Biafra alt, als er zum ersten Mal Rock 'n' Roll hörte. Seine Eltern hatten im heimischen Wohnzimmer in Boulder, Colorado, aus Versehen den falschen Sender eingestellt. In den Jahren vorher und nachher verbrachte der kleine Jello seine Zeit nahezu ausschließlich vor dem Fernseher. „Ich kam von der Schule nach Hause“, erzählt Biafra, „und guckte Zeichentrickfilme, und dann kamen die Nachrichten. Ich habe nie einen großen Unterschied zwischen beidem gesehen, beides faszinierte mich gleichermaßen.“

Das erklärt immerhin, warum aus dem mittlerweile 41jährigen Ex-Sänger der Dead Kennedys und Immer-noch-Labelbesitzer von Alternative Tentacles nun ganz logisch ein Politaktivist und nur noch Gelegenheitsmusiker geworden ist. Wenn er nicht gerade Prozesse für die Meinungsfreiheit führt, als Bürgermeister von San Francisco kandidiert – 1979 holte er bei diesem „Sabotageakt“, so Biafra, immerhin 3,5 Prozent der Stimmen –, mit Dexter Holland von Offspring karitative Stiftungen gründet oder Bücher schreibt („Burning Down The Magic Kingdom“ erscheint Ende des Jahres), macht er zwar hin und wieder noch Musik mit wechselnden Partnern (mit Mojo Nixon, D.O.A., No Means No und mit Ministry als Lard). Aber vor allem ist er dann doch im Dienste der bei ihm weiterhin radikal linken Sache unterwegs. Auch auf dieser Tournee gibt es keine krachenden Punkgitarren, das aus Dead-Kennedys-Zeiten bekannte penetrante Gekeife von Biafra allerdings, das bleibt auch bei seinen Spoken-Word-Auftritten das selbe. Nur daß er seinen Gedankenfluß hier nicht ins Songformat pressen muß, sondern endlich mal in aller Länge und Breite zum besten geben kann, was er immer schon sagen wollte. Und das ist bekanntermaßen eine ganze Menge und wurde auf bisher fünf Sprechplatten veröffentlicht. Er selbst erklärt seine Redeschwälle mit „der Versuchung des Gitarristen, wenn er ein Solo spielt“.

Natürlich verfällt Biafra dieser Versuchung. „Ich würde es nicht Vorlesung nennen“, sagt er zwar, aber doch wohl vor allem aus einem einzigen Grund: „Wer würde schon zu einer Vorlesung gehen?“ Es ist also vor allem eine Frage des Etiketts. Denn natürlich weiß Biafra, daß er „nicht gerade ein Poet“ ist. Hier werden die Wahrheiten verhandelt, die man in den USA nicht mehr hören will. „Es gab sogar mal eine Zeit“, erinnert Biafra, „da druckten die Zeitungen in den USA tatsächlich Nachrichten.“ Weil diese Zeit vorbei ist, müssen neue Informationskanäle erobert werden, damit die Menschen erfahren, daß die großen Kaufketten angeblich aus Jugendschutzgründen zwar keine CDs mit gewaltverherrlichenden Texten verkaufen, aber dafür gleich die Knarren selbst. Weitere Themen, über die Biafra neben dem Tagesaktuellen heute abend reden wird: die Todesstrafe, Abu-Jamal, Zensur und Drogen. Weil aber „richtige Politik nur was für Menschen ohne Sinn für Humor“ ist, sind seine Auftritte durchaus unterhaltsam. So wie Kollege Henry Rollins erkennt Biafra durchaus einen guten Witz, wenn er einen sieht. „Was sollen wir tun?“, um die Welt zum Besseren zu ändern, fragt er, „schreibt eure Ideen auf. Zeigt sie euren Freunden. Wenn eure Freunde nicht intelligent genug sind, dann sucht euch neue.“

Das Beste allerdings an einem Spoken-Word-Abend mit Jello Biafra ist wohl, daß man nicht mit ihm diskutieren muß. Denn der gute Mann mag ja oft genug recht haben, aber er ist auch verschrien als sturer Besserwisser. Thomas Winkler ‚/B‘Heute ab 20 Uhr im Statthaus Böcklerpark, Prinzenstraße 1, Kreuzberg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen