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Taipeh nutzt die Drohungen Pekings

■ Taiwans Politiker haben nicht nur gelernt, mit den Drohungen aus Peking zu leben, sondern auch, damit ihre eigene Politik zu machen

Berlin (taz) – Gelassen reagiert Taiwan auf die Ankündigung Chinas, die Technologie zur Herstellung von Neutronenbomben zu beherrschen. Taipeh versetzte gestern nicht einmal die Armee in höchste Alarmbereitschaft. Es sei nicht nötig, so der Sprecher des Militärs. Auch die Medien blieben verhältnismäßig ruhig. Warum auch nicht? Schließlich weiß Taiwan schon seit eh und je, mit was für einem gigantischen Gegner es zu tun hat. Und wie.

Denn seit Jahresbeginn bemüht sich das Verteidigungsministerium in Taipeh, die Öffentlichkeit auf ein Wettrüsten vorzubereiten. Verteidigungsminister Gang Fei nutzte bis zum Ausbruch des Kosovo-Krieges jede Gelegenheit, Zahlen über die Raketen bekanntzugeben, die in der Volksrepublik gegen Taiwan gerichtet seien. 120 Stück seien es derzeit, bis 2005 würden es 600 sein. China werde bald auch in der Lage sein, Marschflugkörper herzustellen, die mit Atomsprengköpfen wie Neutronenbomben bestückt werden könnten. Das Konzept geht auf: Noch während des Kosovo-Krieges lieferten die USA moderne Waffen und Komponenten an Taiwan. Alle Warnungen aus Peking haben Washington nicht weiter interessiert, derweil Taipeh schon laut über Taiwans Beitritt zum geplanten amerikanisch-japanischen Raketenabwehrsystem TMD (Theatre Missile Defense) nachdenkt.

Dies wäre für Taipeh politisch nützlicher als militärisch. Denn mit der Einbeziehung in ein gemeinsames Verteidigungsbündnis wird der Angst begegnet, die USA und Japan könnten aus ökonomischen Interessen die Nähe Pekings suchen und sich von Taiwan abwenden. Besonders wirksam sind Taiwans Warnungen vor der Volksrepublik für Japan. Japanische Politiker erklärten jüngst immer wieder, das amerikanisch-japanische Sicherheitsbündnis würde notfalls auch Taiwan einbeziehen. Alle Versuche Pekings, Tokio vom Schutz Taiwans abzubringen, schlugen bislang fehl – und werden, da China jetzt mit Neutronenbomben droht, noch chancenloser.

Solange Japan aus eigener Unsicherheit Taipeh beisteht, kann sich Taiwan auch der USA sicher sein: Am Mittwoch noch signalisierte Washington, es wolle sich aus dem Konflikt zwischen China und Taiwan heraushalten. Tags darauf versprach Tokio, Peking mit allen außenpolitischen Mitteln zum Verzicht auf Neutronenbomben zu bewegen. Dazu zählt auch das japanisch-amerikanische Militärbündnis, das als Konsequenz aus Chinas Drohungen gegen Taiwan 1996 erweitert worden war. Japan als verläßlichen Verbündeten zu wissen und zu unterstützen entspricht den Interessen der USA, die sich schon deshalb nicht heraushalten können.

Das weiß am besten Taiwans Präsident Lee Tenghui. Bereits im Mai sorgte er mit seinem Buch „Die Überzeugung Taiwans“ für Furore. Darin übernahm Lee die These eines japanischen Forschers, wonach China in sieben Länder aufgeteilt werden sollte. Auch wenn Lee später sagte, die These entspreche nicht ganz seiner Vorstellung, folgte er dennoch der Argumentation des Japaners: Der Zwang zum übergroßen einheitlichen Imperium sei immer der Hauptgrund für Kriege in und um China gewesen. Diesem Zwang unterliege auch Chinas heutige Führung, die chauvinistisch bis nationalistisch sei. Die Lösung sei eine chinesische Konföderation kleinerer, ethnisch und kulturell unterschiedlicher Staatsgebilde. Schon im Mai zwang Lee seine Kontrahenten in der Volksrepublik zu Drohgebärden, damit alle Welt sieht, wer recht hat. Shi Ming

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