: Eine bittere Niederlage für Tony Blair
■ Bei der Befriedung Nordirlands geht es für den britischen Premierminister um mehr als seinen gescheiterten Friedensplan. Sein gesamtes Reformprogramm steht zur Disposition
Für Tony Blair war gestern der schwärzeste Tag seiner Karriere. Kein britischer Premierminister vor ihm hat für die Lösung des Nordirland-Konflikts so viel Energie eingesetzt. Aber jetzt steht er vor einem Scherbenhaufen.
Das Karfreitagsabkommen von 1998, das die Grundlage des jetzt gescheiterten Friedensplans bildete, war ein typisches Produkt Blairscher Politik: Geradezu zwanghaftes Festhalten am Ziel gegen alle sichtbaren Blockaden, ein gehöriges Maß an Erpressung hinter verschlossenen Türen, und dann am Schluß ein am Rande physischer Erschöpfung vorgetragener politischer Triumph. Daß die Nordiren dem Abkommen dann per Volksabstimmung überwältigend zustimmten, gab dem Premier die Gewißheit, er habe nun endlich den Schlüssel zur Lösung des vertracktesten Problems der britischen Politik gefunden.
Nun aber hat sich der zähe Rhythmus der nordirischen Politik durchgesetzt. Die Gefahr ist nun groß, daß auf Blairs Selbstüberschätzung eine Lähmung folgt, in der er schlagartig jedes Interesse am Thema verliert. Es wäre nicht das erste Mal. Schon öfters hat Blair politische Initiativen spurlos verschwinden lassen, wenn er spürte, daß sie den Geschmack des Publikums nicht trafen. Wer erinnert sich noch an die „Stakeholder Society“, die 1996 als Programm zur gesellschaftlichen Einbindung der Kapitalinteressen das Herz der New-Labour-Programmatik zur wirtschaftlichen Modernisierung Großbritanniens darstellte? Was wurde aus „Bildung, Bildung, Bildung“, Blairs drei Prioritäten von 1997? Bald wird man sich bei Blair genausowenig an die vielen „historischen Augenblicke“ erinnern wollen, mit denen 1998 jeder neue gewonnene Millimeter in Nordirland rhetorisch ausgeschmückt wurde. Und in den letzten Wochen zeichnete sich ab, daß es Blairs einstiger Euro-Begeisterung genauso ergeht. Aber früher sprang Blair immer rechtzeitig ab, bevor er sich allzusehr mit dem Thema identifiziert hatte. Bei Nordirland war das nicht der Fall.
Die Regionalregierung für Nordirland war für Blairs Projekt einer politischen Reform Großbritanniens wichtig, und ihr Scheitern könnte sie in Frage stellen. Weil er sich so viel um Nordirland kümmerte, vernachlässigte Blair in letzter Zeit Schottland und Wales sträflich, obwohl diese gerade ihre eigenen Regionalregierungen bekommen haben und dringend politische Führung bräuchten. Statt des Premierministers war die Queen der Star der schottischen Parlamentseröffnung am 1. Juli, was die ganze Sache in traditionalistische Bahnen lenkte. Weder aus Schottland noch aus Wales sind derzeit innovative Initiativen zu vermelden. Die Regionalisierung, einst als Korrektur jahrhundertealter Ungerechtigkeit angepriesen, entpuppt sich als relativ banale Kompetenzverschiebung innerhalb des britisches Staatsapparates. Und William Hague, Chef der Tories, legte im Mittwoch im Parlament den Finger auf eine Wunde, als er forderte, daß über bestimmte Ebenen der englischen Politik nur noch englische Abgeordnete abstimmen sollten, schottische und walisische dagegen nicht, da Englands Parlamentarier ja zu Schottland und Wales auch nichts mehr zu sagen hätten.
Großbritannien steht erst am Anfang einer grundlegenden politischen Erneuerung, aber in unkoordinierter Weise sind bereits als unumkehrbar dargestellte Schritte gemacht worden. Die Befriedung Nordirlands gehörte dazu. Wenn daraus nichts wird, steht eventuell auch der Rest des politischen Reformprogramms zur Disposition. Ein Teil der Aura New Labours wäre dahin.
Tony Blair muß sich nun zwischen Prinzipientreue und Anpassungsfähigkeit entscheiden. Der erste Weg sichert den Eingang in die Geschichtsbücher, der zweite die Wiederwahl. Das ist bitter für einen Premierminister, der bisher dachte, er habe beides vereinen können. Dominic Johnson
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